Die Haute Route der Stodertaler: Überschreitung Totes Gebirge
Man kann vieles überschreiten: Grenzen, Kompetenzen und Ablaufdaten zum Beispiel. Am schönsten lässt sich aber das Tote Gebirge überschreiten. Es gibt viele Wege, wir gingen einen davon: die Haute Route des Stodertals. Bis zur Aussichtslosigkeit.
Der Plan war nicht einfach: Für unser befreundetes Pärchen kommt eine Zeltpartie auf Mehrtages-Skitour nicht in Frage. Für uns ist die Übernachtung in einem Hotel eine – in Anbetracht unserer Expeditionsvorbereitung – eher übertriebene Sache. Von der Einsamkeit in die Vollverpflegung? Der Deal: Bleiben wir in einem Winterraum. Bewirtschaftete Hütten findet man im Toten Gebirge im Hochwinter ohnehin keine, erst im Frühjahr. Um die Sache weiter zu „vereinfachen“: Mach wir aus drei Tage zwei. Am Ende unserer Tourenplanung, die wir in Anlehnung an die „Stodertaler Haute Route“ aus Stoderegger/Zehetners Skitourenführer Pyhrn-Priel fertigten, kam dieses heiße Eisen heraus:
Tag 1: Vom Frauenkar (im Faultier-Langschläfer-Modus mit der Wurzeralm-Bahn) über den Südostgrat auf das Warscheneck und weiter Richtung Wetterlucken. Danach auf den Kaminspitz, die Hochmölbinge überschreiten, hinunter auf den Grimmingboden und weiter bis zur Tauplitz. Bier beim Kirchenwirt, einchecken in der BRD-Hütte, in der wir übernachten dürfen. Macht etwa: 24 Kilometer, 2000 Höhenmeter.
Tag 2: Erst zum Tragl und über die exotisch klingenden Gipfel Planka Mira, Weiße Wand zurück in Richtung Hinterstoder, noch einen Abstecher auf den Feuertalberg (wenn die Haxen noch nicht brennen) und Abfahrt in die Dietlhölle. Dort parkt unser zweites Auto. Ergibt: 21 Kilometer, 1700 Höhenmeter.
Frauenkar – Rossarsch – Wetterlucken
Eine nostalgische Bahnfahrt später stehen wir im Nebel. Statt einer aussichtslosen Grattour auf das Warscheneck knöpfen wir uns den Rossarsch vor. Abfahren, auffellen, abfahren, wieder auffellen – und schon geht’s über die sanfte Hügellandschaft tief hinein ins wilde Karstgebirge.
GRÖSSTE KARSTWÜSTE EUROPAS
Mit einer Größe von 1130 Quadratkilometern ist das Tote Gebirge einerseits der größte Plateaustock der nördlichen Kalkalpen, andererseits auch die größte Karstwüste Europas. Im Sommer sieht es hier aus wie in einer Mondlandschaft, im Winter eröffnet sich ein skibergsteigerisches Schlaraffenland. Als wir die Wurzeralm hinter uns lassen, kehren wir auch den letzten Menschenseelen den Rücken. In den nächsten zwölf Stunden bis zur Tauplitz werden wir keine andere Lebenwesen sehen außer fünf Gämsen und ein Schneehuhn.
Landschaft. Leidenschaft.
DER KAMINSPITZ VOR AUGEN
Als wir über die Kante des Kaminspitzs fegen, steht uns der Mund weit offen. Meterweit offen! Bist! Du! Schön!
Unter uns: ein Nebelmeer. Darüber: die Gipfel der Prielgruppe.
Soll ich eintauchen… oder besser nicht? 🙂
Die Aushängeschilder des Toten Gebirges vor Augen: Spitzmauer (2442 m) und Großer Priel (2515 m). Da haben wir unser großes Winterprojekt ins Auge gefasst: www.hochzwei.media/bildgeschichten/spitzmauer-ostwand
Aber jetzt: Fokus auf die Hochmölbing-Überschreitung
Der Grat, unser Gradmesser: Hier kommt der anspruchsvollste Teil des Tages
Kurz wird’s luftig – der schmale Kamm zwischen Kreuzspitze und Hochmölbing lässt sich auch in den Flanken umgehen.
Gipfelfreuden hoch… 4 🙂 Einige Höhepunkte liegen auf dieser schönen Schneide.
GRATIÖS
Die Hochmölbing-Überschreitung wird zum Herzstück des Tages. Ein feiner Grat garniert mit einer grandiosen Aussicht. Herz, was willst du mehr!?
Ist schön, bleibt schön – bis auf den Schnee, der ist eher von der Sorte „Knusperfirn“. Wir ersparen uns eine Abfahrt übers Herrenloch und queren die Flanken bis zum Kleinmölbing. Die klassische „Stodertaler Haute Route“ führt jetzt zur Hochmölbinghütte, die an diesem Jännertag aber im Winterschlaf liegt. Wir fahren gleich direkt auf den Grimmingboden ab und hängen die nächste Etappe an.
STIMMUNGSVOLL
Nun, was zeichnet diese Überschreitung aus? Es sind nicht die Abfahrten. Dafür die Landschaften und unfassbaren Stimmungen, die man erst erleben darf, wenn man zu „unüblicheren“ Skitourenzeiten unterwegs ist. Als wir den Grimmingboden in Richtung Tauplitz skaten, taucht die Sonne die umliegenden Gipfel in ein schönes Abendrot. Bald holt uns die Nacht ein.
BIER BEIM KIRCHENWIRT
Nach einem guten Halbmarathon fallen wir um 20 Uhr beim Kirchenwirt auf der Tauplitz ein. Der Durst war mindestens genauso groß wie die Blasen auf Evelyn’s Füßen. Zwei Bier später gehen wir ans Kochen im Winterraum der BRD-Hütte. Wie fein, dass ein Tetrapack Rotwein auch den Weg über’s Tote Gebirge mitgemacht hat. Als dieser leer ist, hüpfen Marlies und Andi noch auf einen Absacker zum Kirchenwirt.
Skepsis auf Skiern
AUS (GRAUE) MAUS!
Leider sind es nicht wir, die am nächsten Tag benebelt sind. Sondern die Berge. Der Wetterbericht hat am Sonntag ziemlich spontan von sonnenklar auf grauenhaft umgeschaltet. Unseren Plan, auf der anderen Talseite über das Tote Gebirge zurück nach Hinterstoder zu überschreiten, den halbieren wir. Nicht die Dietlhölle, sondern das Sigistal wählen wir. Und erreichen wir nur dank GPS.
Vom Großen Tragl ist nichts zu sehen. Unsere Tour übers Tote Gebirge fortzusetzen, das wäre nicht nur aussichtslos, sondern auch gefährlich geworden.
Wir sehen nicht einmal von Stange zu Stange. Nur mithilfe vom GPS können wir uns ins Sigistal navigieren.
Hauptsache, der Spaßfaktor rauscht nicht mit der Temperaturskala nach unten 🙂
Hart und herzlich willkommen: Einfahrt ins Sigistal
Oben Nebel, unten Nebel – und dazwischen: ein Lawinenkegel.
Über etwa 200 Höhenmeter ist es hier so gut wie unmöglich, Ski zu fahren (außer man heißt Hermann Maier).
Ein megalanger Lawinenkegel mit eisigen Brocken wollte über etwa 200 Höhenmeter noch abgestiegen werden. Aber noch immer besser, als im White-Out übers Tote Gebirge zu jagen…
Wir kommen wieder – bei schönem Wetter (das hält, was es verspricht…).
www.hochzwei.media / Andreas Lattner, Marlies Czerny und Michael Steiner