Dieser Winter kommt uns spanisch vor
Unsere überdurchschnittliche Kletterlust sowie die unterdurchschnittliche alpine Schnee- Und Eislage zogen uns im Dezember über die Dolomiten und Calanques nach Spanien. DORT IST ES DOCH WARM, steil UND ENDLOS GEIL – ODER? Naja, mittlerweile sind wir in Marokko 😉
Wenn sämtliche Gehirnzellen bis zuletzt mit allem Möglichen und Unmöglichen beschäftigt sind außer mit der Routenplanung für unsere heiß ersehnte Frei-Zeit in unserem Bus… dann haben wir den Seilsalat. Da ist >sie<, die gleich die ganze Bergwelt niederreißen mag - und da ist >er<, der den Bus am liebsten noch wochenlang winterfit machen würde, bis der Sommer vor der Türe steht (okay, ein bisschen übertrieben formuliert, aber selbst die hochzweis haben jeder für sich sehr einzigartige Wesenszüge ;-)). Natürlich gibt's auch einige To-Do's, aber zumindest nichts, wo wir Ta-Da-und-Dort sein müssen. Eine gemeinsame, wenn auch nur grobe Vorstellung, wohin uns der erste Winter im Wohnmobil führen könnte, haben wir natürlich: zum Skitouren und Eisklettern in die Dolomiten und Westalpen - und wenn's uns zu kalt wird, dann ab in den Süden. Aaaaaber: Wem plötzlich gefühlt alle Türen offen stehen, der könnte vor Freude bis zum Everest hoch hüpfen - und muss dabei paradoxerweise aufpassen, nicht gleich zu stolpern oder sich in alle Richtungen zu verlaufen. Vereinfacht gesagt: Die Qual der Wahl! Immerhin wissen wir, was wir zuerst wollen: Eisklettern. Und zwar in Südtirol! Ein Rein-Fall Wir fahren nach Rein in Taufers, es ist Anfang Dezember. Schnell noch die neuen Hauen auf die Eisgeräte montiert und dann machen wir uns auf den zweistündigen Zustieg. Schnaufend müssen wir feststellen: Die Zapfen, von denen wir geträumt haben, sind noch warme Eislutscher. Immerhin Bewegung und ein neues Eck von Südtirol kennengelernt - wenn auch nicht Eis-schlagend, sondern Schnee-wandernd. Unsere Recherchen über mögliche Alternativen und der Hausverstand signalisierten uns, dass jegliche Eiskletter-Träume vorerst feucht bleiben würden und sich das vergängliche Vertikale wohl überall erst im Wachstum befindet. Weiterdenken. Weiterlenken. Dolomiti Ski Hinein in die tief verschneiten Dolomiten nach Campill. Unser Bus zeigt leider erste Erkältungserscheinungen - obwohl die Temperaturen noch nicht einmal tief in den Keller geklettert sind. Andi findet nach kurzer Untersuchung eine gefrorene Leitung - bei nicht einmal minus sechs Grad Celsius. "Schlampige Isolation", denken wir uns (also denkt sich vor allem Andi ;-)). Aufwändigere Do-It-Yourself-Isolierungen können bzw. wollen wir unterwegs jetzt auch nicht vornehmen. Mit heißem Wasser, dem Föhn, gutem Zureden und Sonnenschein bringen wir alles wieder in Fluss. Besser Ski als nie Die dolomitige Schneelage schaut ja bereits wunderbar winterlich aus. Ohhhh yeah, ab auf unsere Skier! Die Dolomiten sind einfach immer wieder atemberaubend schön - und im weißen Kleid nochmal verführerischer. Unsere Tour auf die östlichen Puezspitze erweist sich als sehr cooles erstes Date mit dem Winter. Eine (fast) zweisame Tour, die unser Zufalls-Wegbegleiter Georg auf hikr.org hübsch beschreibt. Östliche Puezspitze Zurück beim Bus ist mit fließend Wasser schon wieder Schluss. Und zugegeben: So ganz auf Hochtouren läuft unsere Skitouren-Motivation auch nicht. Wir sind einfach sooooo dermaßen in Kletterlaune! Seit wir im alpinen Jahrhundert-Sommer 2018 den pakistanischen Expeditions-Winter erlebten, hinken wir der Jahreszeit ohnehin etwas hinterher. Bei einer vinorossigen Lagebesprechung im Bus fällt der Entschluss: Stopfen wir unser zweitausendachtzehner Sommerloch und hanteln uns entlang der Felsen nach Spanien vor - denn auch unsere angepeilten Westalpen-Eiskletter-Spots sind derzeit Hot Spots. Dann wird statt im Eis halt auf Fels geklettert! Auch gut! Mehr als gut! Und ein paar Flöhe tanzen in diese Richtung ja auch schon länger in unseren Ohren herum - und sie tanzen bis Marokko... Kalanx? Calanques! Zwischenstopp Arco. Zwischenstopp Finale Ligure. Dort kreuzt sich unser Weg mit Bekannten, die ihre Kletterrunde von der anderen Richtung drehen. Sie bringen uns auf eine neue Spur: Les Calanques! Les Calanques? Wie spricht man das denn aus? Kann man dort klettern? Dort kann man wunderschön klettern! Liegt am Weg! Sieht verdammt gut aus! Cassis, wir kommen! Es ist unheimlich hier. Und unheimlich schön!" Uns öffnet sich an der Cote d'Azur ein unglaubliches Landschaftsbild mit den Klippen und dem Grün, auf das die Wucht des Meers prallt. Staunen! Pures Staunen! Les Calanques von Cassis Der Zwischenstopp bleibt uns aber nicht nur als unheimlich schön in Erinnerung - auch als unheimlich an sich, aber mehr dazu ein paar Kletterzüge später. Es finden sich extrem gute Routen hier - und doch schwappt darüber ein riesiger Respekt vor dem Wind und den Wellen. Eine Kletterei, zu der wir knapp zwei Stunden zugestiegen sind, lag zur Hälfte im Meer. Aber besonders eine Route wird uns noch lange in Erinnerung bleiben und möchten wir an dieser Stelle hervorheben: Les Futurs Croulants. Vielleicht hat sie uns auch deshalb so gut gefallen, weil wir hier endlich wieder einmal ein Dach über dem Kopf hatten 😉 Aber auch all die anderen Seillängen waren kleine Schmuckstücke. Oh ja, da haben wir einen Schatz gefunden! Die Sache mit dem Wohlfühlfaktor Wie das meistens so ist mit Schätzen, gibt's da leider auch Piraten. Die treiben sich aber nicht an den Felsen, sondern auf den Straßen herum. Die Suche nach einem Stellplatz war eher kritisch und hatte zwei Haken. Der Erste: Im Nationalpark ist das Campen verboten (was ja grundsätzlich schätzens- und schützenswert ist). Der zweite, viel schwerwiegendere: Auf ausgewiesenen Parkplätzen ist höchste Vorsicht geboten. Als wir direkt an der Bucht von Cassis endlich einen feinen Platz gefunden hatte, klopfte ein Polizist an unser Busfenster. Er wollte uns nicht vertreiben (juhu!), sondern er wies uns höflich darauf hin, unsere Mountainbikes besser keine fünf Minuten unbeaufsichtigt zu lassen... "Otherwise they are gone." Im ersten Moment freuen wir uns über so viel Aufmerksamkeit, im nächsten Augenblick fragen wir uns aber doch, ob wir uns hier wirklich wohl fühlen können. Es ist ja quasi Neben-Neben-Gar-Nicht-Saison hier und selbst jetzt warnen uns Polizisten vor Autoeinbrüchen und Diebstahl? Dürfte also ernst sein mit der Kriminalität hier. Verrückt und schade, dass auf so viel Schönheit so viel Straffälligkeit prallt. Wir legen noch einen wunderbaren Kletterstopp in den Calanques hinter Marseille ein und sagen: Au revoir, Les Calanques! Eviva España! Klettern bei den Katalanen Ein kleines Bergdorf, steile und einsame Felsen, wunderbare Mehrseillängen, nur ein einziger Mini-Markt und ein Café - und das Campen, das stört dort niemanden! Als uns ein Freund von seinen unvergesslichen Spanien-Wochen vor mehr als einem Jahrzehnt vorschwärmte, wissen wir, wohin wir wollen: Nicht zu den allseits bekannten Spots Siurana, Margelef oder Riglos, sondern nach Vilanova de Meia! Das klingt nach unserem (Kletter)Garten Eden. Es liegt noch relativ nah im Norden Spaniens - excusa: in Katalonien - und wäre perfekt gelegen für unseren ersten Stopp. Und hier klettern wir jetzt mal solange, bis sich unsere Finger eine Pause wünschen! Un momento por favor! Weil wir nun ja so super mobil sind, ist unser Fahrplan stark an Meteoblue oder wahlweise den optimistischeren Wetterbericht angelehnt - und der prognostiziert einen Zwischenstopp. Den letzten (vermeintlich) schönen Tag wollen wir an den Türmen von Montserrat klettern - und danach Schlechtwetter- und Kulturprogramm in Barcelona. Vamos! Montserrat (Mont = Berg, Serrat = Säge) Was für ein cooler Plan! Am nächsten Morgen wachen wir unweit vom berühmten Kloster auf und können kaum glauben, was wir hier sehen dürfen - und spüren von den Zehen- bis zu den Haarspitzen, dass wir Hier und Jetzt goldrichtig sind. Morning Glory Unsere Kletterei am Cavall Bernat malt sich für immer ins Gedächtnis. Was für ein Zacken dieser Säge! Am Gipfel sehen wir nur noch Grau. Von wohligen spanischen Temperaturen sind wir so weit entfernt wie Hintertux von Ibiza. Ein paar Seillängen lang zittern, seine Finger und Zehen vor Eiseskälte nicht spüren, aber sich dafür ein ganzes Leben an diese Tour erinnern: ein guter Deal! Diese Linie (Punsola Reniu) ist auch dermaßen genial und der Fels alles außer gewöhnlich: ein Konglomerat. Geologen erklären das so: Montserrat wurde einst mit Superkleber übergossen und mit Kieselsteinen beworfen... oder so ähnlich. Für uns Kletterer ist viel mehr das Resultat entscheidend: Unmengen an Griffen und Tritten (mehr oder weniger gute). Wer nicht so felsenfest von diesem Gestein überzeugt ist: Spätestens in der letzten Seillängen hat man das Vertrauen gewonnen, dass die Steinchen im Superkleber wirklich halten 😉 Montserrat: Klettern und Kloster Nach einem Tag im pittoresken und pulsierenden Barcelona freuen wir uns schon wieder auf das Hinterland - und unser Bergdörfchen in der Provinz Lleida. Schon aus der Ferne lacht uns der breite Felsriegel Roca del Arcs entgegen, der über Vilanova de Meià thront. Angekommen! Im Café gibt's sämtliche Topos (kleine handgemalte Kunstwerke) - und ein ziemlich massives Wandbild. Perfekt für Kletterpärchen, denen der Gesprächsstoff ausgegangen ist. 😉 Wandbild in der Bar Cirera. Wir lassen noch einen Regentag (=Arbeitstag) über uns hinweg ziehen - und dann wird's spannend, denn wir wissen ja, wie das a) mit großen Erwartungen und b) ersten Eindrücken sein kann. a) und b) sind eher... n)ada. Klettern ist immer Ansichtssache - das dürfte auch Erbse bei seinem Besuch so gesehen haben 😉 Im vergangenen Jahrzehnt dürften nach unserem Spetz'l noch gaaanz viele andere Kletterer von diesem stillen Kletterörtchen mitbekommen haben. Der Felsen in unserer ersten Tour ist extrem abgeschmiert. Aber wer wird denn nur auf den ersten Eindruck bauen! Zweite Tour, zweite Chance: In der zweiten Seillänge holt uns der Regen auf den Boden. Neuer Tag, neuer Versuch: Zwei weitere Touren begeistern uns wieder eher mediobueno. Die Griffe kommen fast immer als "Briefkasten-Schlitze" daher - das wird fast monoton. Mit der spanischen Wintersonne geht auch nicht die Post ab. In der Nacht schleichen sich die Temperaturen immer wieder an die Null-Grad-Grenze heran. Hach. Sind wir schon so verweichlicht? Haben wir soooo hohe Ansprüche? Zumindest zusammen kuscheln könnten wir uns bald! Es kommen Freunde aus der Steiermark vorbei. Aber wie sollen wir ihnen beibringen, dass wir eigentlich schon wieder weiter wollen...!? Wir erinnern uns an einen Reise-Grundsatz: Wenn die Erwartungen niedrig sind, können sie nur übertroffen werden. Aber wer seine ganze Kletterhoffnung in eine Gegend projiziert, kann eigentlich nur enttäuscht werden. Irgendwie logisch - aber doch nicht immer leicht zu beherzigen. Die Reise geht weiter - und gemeinsam fahren wir in ein nahes Kletterdörfchen, das Romana und Merlin von Freunden empfohlen bekamen: Coll de Nargo. Hübsch hier! Mit dem Fels werden wir gleich warm - und die Landschaft kommt uns auch nicht so spanisch vor. Erinnert uns ein kleines bisschen ans... Grazer Bergland?! Wir klettern in der warmen Sonne - wie herrlich! Und dazwischen gibt's Kaffee und Kekse - denn genau, da war noch was: Weihnachten! Fröhliche Vanachten! Und was... Wenn wir mit unseren eigenen vier Wänden ganz einfach bis Afrika fahren? Aber bald sind auch hier unsere Tage gezählt. Die Summe führt uns zu einem Ergebnis: Auf nach Marokko - eher früher als später! Anderes Land, anderer Kontinent, andere Kultur, andere Bergsport-Möglichkeiten als "nur" Sportklettern. Und wie cool wär das denn bitte, mit unseren eigenen vier Wänden (und Rädern) in Afrika zu stranden? An der Küste und in der Wüste zu fliegen, in kaminroten Schluchten zu klettern, den Toubkal mit Skiern zu besteigen und Marrakesch mit eigenen Sinnen zu durchwandern? Mit Träumen fangen doch die besten Pläne an! Next stop: Chulilla! Nachdem uns Romy noch von Chulilla vorschwärmt, schwärmen wir erst dorthin aus. Die Erzählungen vom "Long Dong John", den Orangenbäumen, der Kletterbar und den weißen Häuschen haben uns inspiriert, noch einen weiteren Stopp neben dem ohnehin geplanten El Chorro einzulegen. Als wir am Stausee ein Bierchen zischen lassen, vermuten wir, dass es uns hier gefallen wird: Chulilla hat Flair, steile Sinter und spanische Sonne! Sportklettern vom Feinsten! Der Schatten der spanischen Sonne Chulilla hat aber auch zwei Schattenseiten. Eine wortwörtliche (in einige Sektoren der Hauptschlucht fällt im Winter kein einziger Sonnenstrahl) und eine sinnbildliche: In den leichten Routen wird's wegen regen Andrangs in den Weihnachtsferien zum Anstellen - und von "leicht" spricht man hier zwischen 6b und 7a. Wir ziehen nur noch den Hut vor den kälteresistenten Sportkletterern (und -Innen), die ärmellos Sinter um Sinter hinauf turnen, während wir mit langer Unterhose und Swisswool-Jacke zittern. Wir kommen wieder zu diesem Schluss: Sportkletterer sind die Härtesten unter der Sonne! Wir müssen wieder Alpinklettern! Wie im Kühlschrank. Nach ein paar Tagen am sonnigen Fels voller klettertechnischer Fortschritte, Freudensprünge und -stürze (oh ja, Stürze sind als echter Fortschritt zu werten ;-)) und einem Besuch im Sexshop (so heißt ein Sektor) freuen sich die Finger auf eine Pause. Ist doch wieder ein guter Zeitpunkt, um weiterzuziehen! Das Jahr 2020 schreiben wir übrigens auch mittlerweile. Tschüss Chulilla! 650 mautfreie Kilometer weiter südwestlich biegen wir in der Nähe von Malaga nach El Chorro ab. Wahnsinn, wie sich plötzlich aus der andalusischen Landschaft wieder wilde Felswände vor uns aufbäumen! Zwei Tage verbringen wir in diesem Klettermekka in netten Mehrseillängen. Doch das Dorf an sich lädt nicht unbedingt länger zum Verweilen ein. Touristen-Busse bremsen sich reihenweise ein, damit die Insassen mit Helm und Selfiestick bewaffnet den berühmten Caminito del Rey beschreiten können. Der einst "gefährlichste Weg der Welt" hat seit einer millionenschweren Sanierung viel von seinem Mythos verloren. Er verkauft sich trotzdem gut: Sogar Caminito-Del-Rey-T-Shirts und -Fahnen kann man an Kioskständen erwerben. Gleich daneben brummt das Wasserkraft-Werk Tag und Nacht und verleiht El Chorro ein spezielles Ortsbild, das auf uns gar nicht lieblich wirkt. Der Bahnhof hat eingeschlagene Scheiben. Dafür scheint, dass die Kletterrouten mit umso mehr Herz eingerichtet worden sind. Wir klettern nach der "Ebola" die "Estrella Polar" - und während die unzählbar vielen Geier hier noch länger ihre Kreise drehen werden, geht unsere Reise weiter in Richtung Süden. Und mittlerweile sind wir in Marokko angekommen. Aber das ist eine andere Geschichte... die nächste dann!