Dann machen wir halt einen Abflug!
Abgründe, Umwege, Abflüge: Am Jebel Toubkal, dem höchsten Berg Nordafrikas, kam alles anders als geplant – und besser.
Der Jebel Toubkal (4167 m) ist als höchster Berg des Hohen Atlas und von Marokko auch auf unsere Wunschliste geklettert. Die schönste Sehenswürdigkeit in der weiten Prärie ist er ja nicht gerade, aber wer wird denn immer nur nach der Optik gehen!? Der Normalweg ganz normal gehen ist auch nicht das, was uns reizt. Von Skifahr-Schnee ebenso keine Spur – doch wir haben nach einiger Recherche eine andere steile Idee am Toubkal und seinem Nahbarn Afella. Mit (Eis-)Kletter-Ausrüstung stapfen wir los…
Haben wir eh alles mit…? Oder doch noch shoppen? 😉
…bis wir bei Kontrollposten anstehen. Polizei? Checkpoints? Seit Ende 2018 ist auf der Nordseite des Toubkals vieles anders. Seit zwei Skandinavierinnen in ihrem Zelt brutal ermordet worden sind. Der Schatten dieses Terror-Akts liegt über Imlil.
Der Toubkal geht nur noch mit Guide
Jeder, der seither in dieses Gebiet möchte, muss verpflichtend einen lokalen Guide engagieren. Viele Touristen wandern mit einem an uns vorbei – und müssen den Reisepass an vier bewachten Stationen herzeigen. Kontrollen, wie wir sie bisher nur in Pakistans Bergen erlebt hatten (und dort schon nicht mochten). Viele stört das vielleicht auch gar nicht, weil sie ohnehin mit einem Guide besser dran sind. Freiheit am Berg sieht für uns aber anders aus – und so ein Guide kostet natürlich auch (50 Euro am Tag). Und ob diese Maßnahme wirklich eine Terrorgefahr mindern kann, gäbe es da nicht andere Lösungen? Für uns persönlich ist ein Local Guide jedenfalls ausgeschlossen. Und es gibt ja noch andere Berge als diesen Toubkal! Nach längerer Diskussion am Checkpoint könnten wir doch irgendwie irgendetwas drehen… mit den nötigen Dirhams, versteht sich… Ist es uns das wert? Und wollen wir das unterstützen? Das ist uns alles nicht sympathisch. Wir drehen um. Das war’s wohl mit uns, Jebel Toubkal. Inschallah.
Imlil: Kaum gekommen, schon wieder weg
Wir fahren talauswärts. Ganz abschreiben können wir den Toubkal jetzt aber doch nicht. Beim Duft von Kaffee und warmem Fladenbrot vom Markt im nächsten Dorf tüfteln wir an Alternativen. Ha! Südseite! Kostet uns zwar einen Tag Autofahrt, schenkt uns aber mehr Freiraum und Abenteuercharakter. Wir finden nicht viel über die andere Seite, nur so viel: Dort gibt’s keine Kontrollen und keine anderen Bergsteiger (inschallah) – nur einen einsamen und ewig weiten Weg ohne Stützpunkt. Und wir wären direkter an der Route, die uns interessiert, näher am WSW-Grat (nachdem wir die anderen Ideen auf der Nordseite verwerfen). Yeah baby, foa ma! 🚐✨
Die Fahrt ist lang. Stundenlang und Schlagloch-tief. Wird immer länger – und immer tiefer. Einige Kilometer vorm Ziel stehen wir an einer Baustelle an… Ou nein, das darf ja nicht wahr sein!? Kein Durchkommen, erklären uns die Bauarbeiter. Eine „Umleitung“ nach Amzouzart führe dort drüben durch das Bachbett, zeigen sie uns. Also einige Kilometer retour und einen Parkplatz suchen (den wir netterweise im Gemeindehof von der Ortschaft Toubkal kriegen). Dann ab auf unsere Bikes und das Zelt nicht vergessen!
Tja, wenn es in Marokko heißt: Es geht durch den Bach, dann heißt das nicht: kurz queren. Sondern tatsächlich drei Kilometer im Bach fahren…
Am Heimweg hamma dann Rückenstrom!
Schiebend, tretend, schwitzend, schmunzelnd, tragend, Baustellen überkletternd, Bachbett hopsend, lachend, weinend, mit Berber smalltalkend und mit nassen Schuhen kommen wir dem Lac d’Ifni aber doch immer näher.
Die bisher verrückteste Biketour unseres Lebens.
Die bisher verrückteste Biketour unseres Lebens.
In der letzten kleinen Siedlung stellt sich noch Hussein vor – und uns in den Weg. „Chef de village“ * wiederholt er mehrmals – und möchte unsere Reisepässe fotografieren. Aus Sicherheitsgründen. Um nicht in unnötigen Diskussionen zu enden, rücken wir sie raus – und kommen der Einladung zum „Whisky berbere“ nach. Unsere paar Dirham als Dankeschön schiebt der „Bürgermeister“ stillschweigend ein – und endlich ist unser Weg frei zum Toubkal!
*Ob Hussein wirklich der „Bürgermeister“ ist und eine wichtige Kontrollinstanz, das haben wir übrigens nicht verifiziert. Und der Tee aus 100% Wasser und Minzblättern und 0% Alkohol war wie immer viel zu stark gesüßt, diesmal konnten wir den Zucker aber wirklich brauchen 😉
Nach mehr als fünf Stunden fallen wir am Lac d’Ifni leicht gerädert und geschlaucht in unser Zelt. Und fragen uns, ob das Seeufer als Landeplatz taugen könnte. Unser Gleitschirm im Rucksack soll ja mehr als nur unser Kopfpolster sein. ✨
Eine gute Nacht am Lac d’Ifni
Eine gute Nacht am Lac d’Ifni
Einsam, aber nicht alleine
Um drei Uhr früh läutet uns der Wecker aus dem Schlafsack. Das Zelt abbauen oder stehenlassen? Ganz alleine sind wir nämlich nicht hier oben – ein paar Berber arbeiteten bei unserer Ankunft an Steinbauten. Ach, lassen wir’s doch – was soll schon sein, inschallah!? Es ist mucksmäuschenstill und stockdunkel, als wir unseren langen und steinigen Weg beginnen.
Haben wir schon einmal erwähnt, dass wir Sonnenaufgänge lieben? 😉 Diesen hier ganz besonders, nachdem wir schon vier Stunden lang die scheinbar endlose Rinne aufgestiegen sind. Zum Glück war das noch im Finsteren. Dann sieht man nicht, wie weit man noch hat.
Schön langsam erreichen wir den Tizi n’Ouanoums, den Pass, über den uns der Westsüdwestgrat zuerst auf den Westgipfel des Toubkals führt.
Gratgaudi
Dann darf der Kletterspaß endlich beginnen! Auf knapp 4000 Meter! In Marokko! Ohne Handschuhe! Like! Über ingesamt drei Türme geht’s meistens seilfrei zum Dahincruisen, aber für ein paar wenige Seillängen packen wir den Strick aus – auch einmal zum Abseilen in die nächste Scharte. Die Schlüsselstelle ist kurz und knackig. IV steht in unserer Führerliteratur. Kommt eher wie ein guter, alter Westalpen-IVer daher… inklusive kleinem Überhang, der dann immerhin auch nicht sonderlich fest ist. 😉 In dieser Seillänge stecken – schau an – sogar zwei Schlaghaken.
Nach dem Toubkal West gibt’s den Hauptgipfel noch immer nicht geschenkt. Er „zaht si“ auf guad Österreichisch – und über der 4000-Meter-Marke wird auch die afrikanische Luft dünn. Doch schön langsam rückt die Toubkal-Hauptautobahn in unser Blickfeld – ein guter Antrieb für den finalen Hatscher.
Ohhhhh yeah… Nach insgesamt neun Stunden Zusteigen (lang!) und Klettern (lustig!) dürfen wir tatsächlich vom Djebel Toubkal über den Hohen Atlas bis in die Wüste blicken.
Toubkal, du hast es uns nicht leicht gemacht! Okay, wir wollten es auch nicht einfach haben 😉
Unser Herz beginnt jetzt aber erst richtig zu klopfen. Der Wind!? Im Rahmen des Fliegbaren! Der Startplatz? Spannend! Kein erwarteter Schneefleck hier (Wir haben Winter! Jänner! 4000 Meter!), dafür gleich die Klippe. Windrichtung? Norden. Norden??? 😲 Können wir die Kurve nach Süden kratzen? Und am Seeufer beim Zelt landen? Kommen wir beide gut raus? Was, wenn das für einen nicht klappt? Beim Start das Segel kaputt geht? Wie können wir kommunizieren? Kein Funknetz hier! Mindestens ein Tag Rundherum-Komm-Action! Schatz, gib mir noch ein paar Dirham! 😅
In aller Ruhe besprechen wir alles, checken nochmal die Karte, unsere Ausrüstung. Fokus. Auf ein Startfenster warten. Das passt alles! Wir schicken die Sorgen in den Wind. Erst sie, dann er.
In einer unvorstellbar beeindruckenden Viertelstunde fliegen wir die 1800 Höhenmeter zurück zum See.
Der Lac d’Ifni hat heute einen Vogel.
Nach ungefähr 15 Minuten landen wir butterweich auf den großen Steinen.
Überdrüberglücklich liegen wir uns in den Armen – und dann kommt auch schon der Bürgermeister mit Minztee, Wasser und zwei Flaschen Cola zu uns gerannt! Erst drückt er uns an seine Brust – und dann drückt er uns seinen Esel auf’s Auge (wo er dann mürrisch ist, weil wir ihm zu wenig zahlen… aber irgendwann ist genug mit Trinkgeld ;-)).
Der Esel war anfangs trotzdem willkommen, weil die restlichen Stunden zum Bus schieben wir die Räder meistens… Marlies hat zwei platte Reifen! Luftpumpe hätten wir dabei, aber das Ventil beim Schlauch ist abgerissen…
Weil jammern nix nutzt, spazieren wir los. Besser hier gehen als vom Gipfel runter 😉 Mit dem letzten Licht erreichen wir unseren Bus – und fahren dem Atlantik entgegen. Wir haben da so eine Idee. 🙂