Hochferner-Nordwand: Steil und geil
Steht man unter der Nordwand des Hochferners in den Zillertaler Alpen an der Pfitscherjoch Straße, wünscht man sich am liebsten wieder ins warme Bett zurück. Sie sieht wild aus. Bedrohlich. Mittendrin das Aha-Erlebnis: Ist ja richtig cool!
Es hatte schon einmal nicht sollen sein. Vor zwei Jahren schüttelten wir im Günther-Messner-Biwak mit dem Frost um die Wette, um am nächsten Tag erst kein Ende der Hochferner-Nordwand zu sehen. Es legten sich Schlechtwetterwolken über den Hängegletscher, und in eine aussichtslose Nordwand einzusteigen… das hielten wir für keine besonders schlaue Idee. Darüber hinaus gibt’s auch zu viele Schauergeschichten aus dieser Wand. Leider war auch der Jahresbeginn 2017 kein guter Start für diese wilde Ecke der Zillertaler Alpen, Südtiroler-seits.
Zwei Jahre später, es ist wieder Dezember (30. 12. 2016), diesmal sind wir ohne Skier, dafür mit Gleitschirm und endlosem Sonnenschein zurück: Schaut doch gleich besser aus. Viel besser! Und die Kühlbox am Wandfuß steuern wir diesmal auch nicht an. Wir starten von der dritten Kehre der Pfitscherjochstraße aus – von unserem Nobelhotel California. Standheizung aufdrehen, Pasta kochen, Salat schnipseln, Wein trinken, Routen studieren, Standheizung noch eine Spur wärmer drehen, Musik hören… Eindeutig das bessere Hauptabendprogramm als Schüttelfrost in der Biwakkältekammer. Da legen wir die 700 Höhenmeter Zustieg am nächsten Morgen gerne drauf. Und statt des Schlafsacks packen wir eben den Gleitschirm ein. Zu einem kleinen Abendspaziergang lassen wir uns trotzdem hinreißen: Wir checken einen Landeplatz aus – um nach dem Gipfel mit unserem UFO möglichst nahe am geräderten Hotel zu landen. So der Plan.
Der Wecker scheppert trotzdem gefühlt ein bisserl zu früh. Voll motiviert nach längerer Zeit des Nichtstuns geht’s los. Der Zustieg verfliegt in der Finsternis und mit dem ersten Licht steigen wir in die Wand ein.
Das Morgengrauen deckt eine nicht unwesentliche Frage auf: Wo gehts da durch?
Die Zunge da oben wirkt, als hätte sie einen Mordshunger. Bitte nicht uns verschlingen!
Je näher wir kommen, desto besser zeichnet sich ein Weg durch die erste Stufe ab.
War doch eh ganz easy! Etwas Bammel hatten wir doch, unsere zuletzt kaum geprüften Wadeln in eine riesige Nordwand zu schicken. Doch angenehmer Stapfschnee und großteils gute Spuren ließen uns flott vorankommen. Nur einmal kamen wir in den blanken Wahnsinn.
Nach dem kurzen Eislutschen ging’s schon wieder weiter. Das wird ja gar nie langweilig! Genüsslich geht’s im Firn dahin. Nach oben hin zeichnet sich zwar wieder einmal kein Durchkommen ab – und der Wind hat die letzten Spuren verweht, doch das wird schon, da haben wir keinen Zweifel. Selten hat eine Nordwand so viel Spaß gemacht und Abwechslung geboten.
Ice, Baby!
Eismassen. Sie sind ja ganz hübsch anzusehen, aber der geneigte Alpinist weiß, dass sich die Seracs an keine Abbruchzeiten halten und es ihnen auch ziemlich egal ist, ob da jemand vorbeikommt oder nicht. Das Gefühl begleitet einen durch diese Nordwand – und es ist ein ziemlich befreiender Moment, wenn man an diesem Hängegletscher endlich vorbei kommt. Bloß. Wo…?
Zwei ganz schön flotte Burschen kommen uns langsam näher. Oberhalb vom Serac warten wir kurz, um sie vorbeizulassen. Wie… Michael? Ist ja cool! So mitten in der Wand treffen wir auf unseren AirDesign-Teamkollegen Michael Kräftner, der mit seinem Partner Chris nach einer Nordwand nicht genug hatte und dem Griesferner am nächsten Tag gleich noch den Hochferner anhing. Wohl kein Zufall, dass sich unterwegs immer die Richtigen treffen… Ganz kurz blickte er etwas neidisch, als wir ihm erzählen, im Rucksack unsere UFOs dabei zu haben. Doch noch ist nicht aller Flüge Landung, äh aller Tage Abend.
Nach unserem Meet and Greet rückt das Ende langsam in Sicht: Ein paar Meter stapfen, kurz noch die Pickel beherzt setzen, ein längerer Quergang und dann ab in die Gipfelflanke. Und dann ist es so weit: Der Moment aller Nordwand-Momente. Sie kommt. Immer näher. Und plötzlich fällt sie in unser Gesicht. Die Sonne! Fein!
Wenige Meter bis zum Gipfel. Wir sind guter Dinge, was unseren Abflug betrifft. Jihaaaa! Da bläst doch wenig Wind! Bis wir am Grat ankommen. Das Luder wird stärker. Verdammt. Wir waren bloß im Lee… Noch ein Gipfeltratscher mit den Jungs, wir genießen die Sonne, das Panorama, das Jetzt-Hier-Sein. Michael gibt uns noch einen Tipp – besser warten und es dann vielleicht aus der Grießscharte zu versuchen – er legte schon einmal ein paar hundert Meter weiter seinen Schirm aus. Nun gut. Eine gute Stunde kauern wir uns an ein Sonnenplatzerl. Doch der Wind schickt sich nicht an, seine Stärke oder Richtung zu ändern. Es wären ein paar ruhige Kurzphasen dabei, in denen wir starten könnten – doch wenn wir die nicht erwischen… Gehen wir lieber kein Risiko ein. Mist. Zu Fuß hinunter.
Der Abstieg ist: lang. Eeeeeelendig lang. Etwa alle 200 Höhenmeter taucht die Frage auf, ob wir vielleicht nicht doch hätten starten können… Wäre doch… Oder? Bringt nix mehr. Schon erwähnt, dass der Weg lang ist? Vergeht irgendwie gar nicht wie im Flug. Außerdem warten hier die wahren Schlüsselstellen im Eis: Selten sind wir auf so viele vereiste Wege und Wiesen getroffen. WI1 würden wir sagen (WI=Wiesen Ice). Steieisen an, Steigeisen aus, Steigeisen an, wieder aus, an, aus… Nervig! Und es ist noch immer lang. Hätten wir nicht doch…? Schluss jetzt. Immerhin begleiteten uns noch schöne Stimmungen bis in unser Hotel… Nur fliegen wär schöner. 😉
PS: Abends war Ich {Marlies} froh, aus den Klamotten zu kommen. Irgendwie bin ich an diesem Tag für meinen Geschmack doch ein bisserl zu blau geraten… Das nächste Mal dreh ich zum Anziehen wieder das Licht auf 😉