Endlich Eiszeit: Eisklettern am Hengstpass und in der Ramsau

Begeben wir uns auf die dunkle Seite des Tales: Dort, wo keine Sonne scheint, und es nur für kurze Zeit ziemlich zapfig wird. Klettern im Nicht-Ewigen-Eis am Hengstpass und in der Ramsau ist eine ziemliche Seltenheit. Wir warteten seit Jahren auf diesen Moment im Üb-Fall, der Dicken Berta, Atlantis (Oppenberg) und rechten und linken Zwerg und Scharfzahn.

-14 Grad. Wieder einmal stehen diese grimmigen Zahlen auf der Temperaturanzeige des Autos. Am besten, man steigt mit einem Lächeln aus, denn es könnte sein, dass die Mimik länger so bleibt, bis sie wieder auftaut. Endlich ist die Eiszeit gekommen! Wie oft haben wir schon das Wasser hinunterrinnen sehen über die Felsen und sind nur in Gedanken auf eisigen Säulen, frostigen Fällen und wasservereisten Wänden geklettert. Dabei gibt’s doch fast vor unserer Haustüre zwei eisige Arenen, den Hengstpass in Unterlaussa und die Ramsau bei Molln. Mit dem Haken: Erst, wenn die Temperaturen viele Tage weit unter Null liegen, braut sich dort etwas zusammen. Ein seltener Fall. Seit wir eisklettertechnisch Denken können, haben wir diese heißen Phasen verpasst, verschlafen oder in dieser kurzen Zeit einfach zu lange arbeiten müssen. Also mussten wir immer viele Kilometer auf den Bus radeln, um zum Eis zu gelangen. Pitztal. Renkfall. Mordor.

Bis Jetzt

Diesmal läuft das Wasser nicht mehr über die Wände, es läuft uns im Mund zusammen. Hinauf auf den Hengstpass. Vor uns erstrahlt es in seiner Einzigartigkeit, dieses Nicht-Ewige-Eis. Mit spannenden Strukturen, die eine abartige Spielart des Alpinismus offenlegen, ein Training für höhere Wände sind, interessante Bewegungsrätsel stellen, viel Kraft in den Muckis voraussetzen – und viel Erfahrung, von der man nicht genug haben kann. Darum absolvierten wir vergangenes Jahr einen Eiskletter-Update-Kurs mit den beiden Profis Stefan und Benni. Das Eis. Eine heiße Sache!

Üb-Fall Unterlaussa Hengstpass

Der Name klingt unspektakulär, ist aber sehr cool zum Wieder-Warm-Werden mit den geschärften Eisgeräten, Steigeisen – und Sinnen. Eine Säule (WI4) mit Bohrhaken-Stand, daneben ein langer Aufschwung, bei dem man sich zwischen WI3 bis 4 bewegen kann. Apropos bewegen… Wie war das nochmal? Diagonaltechnik? Oder doch Raupe? Ferse runter. Hüfte zum Eis. Aus dem Ellbogen ziehen. Oder Handgelenk? Haue runter. Sauber anzielen. Zum Eisgerät steigen. Hab keine Kraft mehr! Oder doch keine Technik. Noch einmal. Nicht so hoch ansteigen! Gestreckter Arm. Wird schon. Aaaaaahhhhrg… Noch einmal. Dosierte Kraft geben. Sauberer steigen. Geht doch!

Schon der Zustieg beginnt an den Eisfällen in Unterlaussa interessant – mit dem Hengstpass-Problem. Es fließt ja doch viel Wasser – nicht grundlos, sondern im Laussabach. Das beste Eis liegt jenseits dieses Gewässers. Um dorthin zu gelangen, muss man den Bach improvisatorisch oder ziemlich durchnässt durchqueren. Wir haben massive Säcke eingepackt. Ein zweites Paar Socken. Doch siehe da! Ein Seil! Glücklicherweise haben wir bereits an zwei Fällen Seilbrücken vorgefunden. Merci an die Spanner! 🙂

Eiszeit. Diese Periode, angeblich die kälteste seit 30 Jahren, macht’s endlich wieder möglich. Auch ein paar wilde Jungs, die nach einem Eisklettertrip in Kanada unter Strom stehen, kletterten beeindruckende Linien in unserer Gegend, wie auf der Seite von Fabian Ömmer zu sehen ist. Große Arena. Ganz großes Kino!

Wenige Tage nach dem Üb-Fall ging’s für mich (Marlies) und Robert „Burschi“ Kniewasser wieder auf den Hengstpass. Dicke Berta! Ein Drei-Seillängen-Eisfall (WI 4/5), der nach einem steilen Aufschwung flacher wird und uns einen klassen Vormittag beschert.

Vor allem, wenn die Sonne nicht scheint, macht man sich keine Gedanken, warum man an Postkartenpanorama-Schönwetter-Kitsch-Sonnenschein-und-Pulvertraumtagen in einem finsteren Loch hängt. Wie auch im Atlantis (WI4) im steirischen Oppenberg, wo ich bei Bleib-lieber-drinnen-Wetter mit Marijan vor der Arbeit noch klettern ging. Ein schmaler Bachquergang nach einem Wehr führt zum Eisfall nahe Rottenmann. Schneeschaufeln in den ersten beiden Seillängen, danach an dünnem Eis kratzen in zwei weiteren Längen. Klingt vielleicht nicht so… aber macht Spaß!

Seltenheitswert

Schauplatzwechsel, ab in die Ramsau bei Molln. Mindestens fünf Jahre – nein, viel mehr! – waren diese Eisfälle nahe dem Truppenübungsplatz des Bundesheeres nicht mehr so gut in Schuss. Scharfzahn. Dank Insiderinfos wussten wir, dass dieser „beste Eisfall in der Ramsau“ (laut Eiskletterführer „Österreich Ost“ von Andreas Jentzsch, Axel Jentzsch-Rabl, Stefan und Mathias Fluch) zurzeit steht und perfekt geht. WI4/5 – in diese Schwierigkeit wollen wir uns nach wenigen Eistagen nur wagen, wenn wir wissen, dass alles passt. „Wenn ihr jetzt nicht geht, dann nie!“, schwärmt Robert. Na dann!

Es ist bereits später Vormittag, als wir in der Ramsau aus dem Auto steigen, bitte lächeln, die Minusgrade sind schon wieder in den Keller gerutscht, ins zweistellige Untergeschoß. Ich kann gar nicht mehr ohne: Picke mir beim Auto die Fußwärmer der Heatcompany auf die Zehen. So bleibt auch der Spaßfaktor beim Klettern auf Betriebstemperatur. Es reicht, wenn zwischendurch immer wieder die Fingerspitzen gefühlt einfrieren und das Auftauen für wenige Minuten ungefähr so schmerzhaft ist, als ob sich vierzig Tätowierer und zwanzig Akkupunkturärzte gleichzeitig um meine Hände kümmern – auf keine besonders liebevolle Art. Ein so stechender Schmerz. Autsch.

Ein Fall für uns

Heute aber nicht. Selbst mit den dünneren von insgesamt vier Paaren Handschuhen (sicher ist sicher ;-)) bleibt das Klettern eine Freude ohne Fluchen. Wahnsinnig schöne Strukturen, die sich uns bieten, eine steile, aber nicht zu schwierige Eisklettertour. Ja! So macht Eisklettern Spaß! Da stören uns selbst die Schüsse kaum, die aus dem nahen Truppenübungsplatz hallen. Wird doch auch vom Plätschern des Wassers ringsum übertönt. Eigentlich auch ein Geräusch, das man beim Eisklettern nicht unbedingt hören will… Doch der Fall: hält bombenfest.

Zwei Tage später (Sonntag, 22. Jänner 2017) scheint erneut die Sonne so wunderbar, und wir stehen vor einem Luxusproblem: Skifahren im Pulverschnee? Oder doch endlich mal Skifahren und dann mit dem Gleitschirm hinunterfliegen? Oder…? Keine Frage.

Wir müssen noch einmal in die Ramsauer Kältekammer. Wenn nicht jetzt, wann dann.

Heute sind wir mit Robert zu den Zwergen unterwegs – erst zum rechten (WI 3-4) und danach zum linken Zwerg (WI 4/5 bis 6-). Zwei feine Fälle, auf der wir coole Meter machen können. Leider besucht mich im ersten Fall wieder der Tätowierer und das Eis zeigt sich zwischendurch ziemlich spröde oder feucht – aber hey! Hier rinnt an fast allen anderen Tagen im Jahr Wasser. Zu wissen, dass man an dieser Stelle sonst Brausen gehen würde und nicht existieren könnte, ist ein derart cooles Gefühl, sodass man jeden eisigen Moment mit seinem Seltenheitswert liebt. Einen Höhepunkt finden wir im linken Zwerg: Er bietet einen gewaltigen Steilaufschwung als Ausstiegslänge. Wieder ein Tag im Eis – so wundervoll selten, wenn man sie erleben darf!

Willkommen im Hier und Jetzt…

Einen Augenblick bitte…