Dachstein von daheim
Ein Jahr lang haben wir mit unbändiger Energie unser Holzhäuschen saniert. Das A glänzt wieder und Marlies‘ Energiehaushalt sprudelt gegen Ende des Jahres wie eh und je: Wie wär’s, wenn wir von daheim zum Dachstein gehen?
A wie Ankommen
Nach fünf Jahren auf Achse, simpel lebend in einem Wohnmobil, kamen wir tatsächlich wieder dort an, wo wir aufgebrochen waren. Plötzlich stand in Oberösterreich unser Traumhaus vor der Tür (bzw. auf willhaben). So schnell, wie wir damals aus vier Wänden auf vier Räder umsiedelten, so schnell wussten wir: Das ist es! Und hatten auf einmal wieder einen Parkplatz – und dazu ein Dach überm Kopf.
B wie Baustelle
Dass wir mit diesem Kauf eine Expedition der anderen Art starten würden, war uns zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollends bewusst – unserem Energieberater sehr wohl. Ehe wir es uns zu gemütlich machten, verpassten wir unserem neuen Basislager eine umfangreiche Sanierung: vom Heizungs- über Fenster-Tausch bis hin zur besseren Dämmung. Bis wir wirklich von unserem Busbett in unser Hochlager übersiedelten, verging fast ein Jahr mit intensiver Arbeit (und einer Hochzeit). Wie von den 8000ern gewohnt, waren wir auch hier möglichst im „Alpinstil“ unterwegs. Vieles selber machen und dabei noch viel mehr lernen, machte das Häuslbauer-Erlebnis definitiv nachhaltiger, spannender und intensiver als wir uns das je hätten vorstellen können. Und jetzt haben wir unser kleines A, das unsere (zugegeben sehr vagen) Vorstellungen von einem Traum-Haus Wolkenkratzer-hoch übertroffen hat!
C wie Christkindl
Weihnachten 2024: Endlich ist unsere Baustelle so weit finalisiert, dass auch Andi das Wort Skitouren wieder zaghaft in den Mund nimmt. Über all die Keksdosen und Familienfeste legt sich ein Hochdruckgebiet, wie man es sich besser nicht wünschen könnte. Das wäre doch perfekt für diese Idee, die mir schon lange vorschwebt: Das Tote Gebirge überschreiten und noch weiter bis zum Dachstein gehen.
Erstaunlicherweise entgegnet Andi weder mit mit Sockelleisten, die zu montieren wären, noch mit Regalen, die in die Dachschrägen eingepasst werden wollen, sondern öffnet die Alpenvereinskarte am Handy wir beginnen zu planen. So brüten wir am Christtag über den möglichen Routenverlauf und mögliche Stützpunkte. Mit Schweinsbraten und himmlischen Cremeschnitten von Mama füllen wir noch die restlichen Energiereserven auf. Morgen geht’s los!
Mit Bike zum Berg
D wie Dachstein… und Dümlerhütte!
27.12., 15 Uhr, Edlbach: Kein Auto für diese Tour, das war uns mehr oder weniger unausgesprochen klar. So satteln wir unsere Bikes und radeln zum Gleinkersee. Auf den nächsten 500 Höhenmetern bestätigt sich, was wir vermutet haben: Im Frühjahr wäre so ein Plan besser beheimatet, als zum schneearmen Beginn des Winters. Also vorerst Ski tragen statt Ski touren.
Bestens vorbereitet für den Winterraum der Dümlerhütte, steht bei unserer Ankunft überraschenderweise doch eine Türe offen – und wir laufen dem legendären Hüttenwirt Harry in die Arme, bei dem wir früher am Prielschutzhaus unzählige Abende verbracht haben. In Erinnerungen schwelgend, von neuen Aussichten träumend und mit einem Kaltgetränk in der Hand, knüpfen wir nahtlos an, wo wir vor einem Jahrzehnt aufgehört hatten, herrlich! Nur von der geplanten Nachtruhe bleibt halt auch genauso wenig übrig, wie früher. Zum Glück sperrt uns Harry noch ein Zimmer im ersten Stock auf bevor er wieder ins Tal rauscht. Der Winterraum ist nämlich bereits überfüllt.
DüHü deluxe nach einer kurzen Winternacht
28.12., 7:30 Uhr: Im Morgengrauen dämmert uns, dass uns dies fehlenden Schlafstunden wohl noch ein wenig begleiten werden. Bald küsst uns im Rote-Wand-Sattel die Sonne wach und es geht weiter zum Toten Mann, der gar nicht so tot ist, wie sein Name vermuten lässt. Gut vierzig Gämsen kreuzen unseren Weg. Am Warscheneck treffen wir auf die ersten Zweibeiner. Freunde von uns, so ein Zufall! „Früh seid’s da aber nicht dran!“ meinen die zwei, als wir ihnen von unserem Dachstein-Plan erzählen. Ach ja, lieber Harry …
Herzensberg! Vis à vis der Stodertaler Skyline denken wir zurück an unseren wundervollen 1. Juni 2024 auf der Spitzmauer. Die Temperaturen waren ähnlich…
Spitzmauer, ja!
Schön, sich dem Warscheneck einmal von dieser Seite anzunähern.
Hinterm Andi: Warscheneck und Liezener. Vorm Andi: der Rossarsch. Damit ist nicht die eheliche Koseform eines Hinterteils gemeint, der Berg heißt wirklich so.
Wir steigen ab in Richtung Zwischenwände, ein abgelegenes Eck zwischen den zwei Skiwelten: Höss in Hinterstoder und der Wurzeralm in Spital am Pyhrn. Schroff ragen vor uns die Gipfel von Torstein und Pyhrnerkampl auf, und wir steuern eine mit Schnee gefüllte Rinne an: Erste Abfahrt des Tages.
Aufgeben oder alles geben
Beim Blick auf die Uhr disponieren wir um: Anstatt via Kaminspitz direkt über den feinen Mölbing-Kamm zu fegen, schlendern wir außen herum. Leider erweist sich dieser Plan als nicht ganz so blendend: Zehn Zentimeter hoch klebt der Schnee unter den Fellen und ich fühle mich wie früher auf meinen Buffalo’s nach einer berauschten Nacht. Klassischer Fall von Hangover.
Clever, wie ich bin, wechsle ich auf mein zweites Paar Felle, das ich als Backup für meine schon ramponierten Stücke mitschleppe. Nach fünf Metern die Erkenntnis: Zwei alte Felle ergeben noch immer kein neuwertiges. Es stollt genauso wild an im warmen, weichen Weiß des Nachmittags. Mit gefühlten fünf Zusatz-Kilo an den Beinen spuren wir rund um den nicht enden wollenden Querlstein (heute ein richtiger Quälstein) vorbei an der Brunnalm, ehe wir die Hochmölbinghütte im besten Licht erreichen. Perfektes Timing… wenn das unser Tagesziel wäre. Stattdessen lesen wir am Wegweiser: Tauplitzalm 5 Stunden.
Via Brunnalm und dann – leider vorbei – an der Hochmölbinghütte
Weiter geht’s.
Man musste kein Adam Riese sein, um zu kapieren, was das für unsere Zeitrechnung heißt.
Dachstein in weiter Ferne. Na gute Nacht.
Bei unserer Reservierung am Linzer Haus auf der Tauplitz habe ich jedenfalls schon vorausgeschickt, dass es später werden könnte. Das einzige Stricherl Empfang nutzen wir, um unsere geplante Ankunftszeit durchzugeben.
Im Wissen, dass wir uns bei Temperaturen um -10 Grad, bald in völliger Dunkelheit, über Stunden im Funkloch des Toten Gebirges, keinen Fehler erlauben dürfen, fahren wir vom Sumpereck Richtung Grimmingboden hinab und folgen dem grimmig kalten Bachbett.
Mal links vom Fluss. Mal rechts vom Fluss. Manchmal knapp dran, mit dem Fuß mitten im Fluss zu stehen … Ab hier fühlen wir uns fast wie auf Expedition. Die Füße schimpfen: Hey, mir reicht’s jetzt! Der Kopf funkt dazwischen: Konzentrier dich, geh weiter! Und das Herz schlägt rhythmisch im Takt der Natur, so als wär’s das Logischste auf dieser Welt.
Aus Maus. Gegen 21 Uhr steht unser Essen am Tisch. Danke für’s Warmhalten!
Nach einem Marathon erreichen wir schließlich die steirische Tauplitz – gerade noch rechtzeitig, um die Küchenmannschaft nicht um ihren Feierabend zu bringen.
29.12.2024, 5 Uhr: Im gut gefüllten Matratzenlager waren wir nur Kurzbesucher. Das Schnarchkonzert noch im Gange, ziehen wir uns wieder warm an.
Wir skaten über die Loipen der Tauplitz und suchen uns die Tal-Abfahrt nach Bad Mitterndorf.
Tschüss Totes Gebirge, Servus Dachstein-Plateau!
Glory morning. Das Ziel im Blick.
Skitouren-freundliches Skigebiet!
Bad Mitterndorf schlummert unter einer flauschigen Nebeldecke. Unter unseren Brettern knuspert die Piste.
Diese Höhenmeter hinunter sind ein Geschenk, es läuft glatt bis zum Talboden! Die Ski auf den Schultern spazieren wir durch Bad Mitterndorf. Ich gäbe ein Fell für eine geöffnete Bäckerei… leider ist Sonntag!
Als kleiner Trost ist die Langlaufloipe gut gefroren und wir skaten mühelos zum Salza-Stausee. Ab jetzt betreten wir für uns Neuland. Schon bei der Tourenplanung waren wir gespannt. Hat’s ausreichend Schnee? Enden wir in Latschen-Gassen? Sind unsere Wege wintertauglich?
Lasset den Hatscher beginnen!
Schon bald erkennen wir, warum die dieser Teil als Bike-Strecke bekannt ist und nicht als Skitour. Auf Rädern rollend mögen sich die ungefähr fünfzehn Kilometer der Dachstein-Runde zur Viehbergalm sicher weniger weit in die Länge ziehen wie spurend auf Skiern. Aber sowas kennen wir schon von unseren Expeditionen:
Kopf ausschalten. Automatikgang einlegen.
Winterwunderwelt: Die Sonne kämmt sich überm Kammspitz, wir ziehen orientierend auf der Karte unsere Spuren.
Durch eine weitgehend unberührte Almenlandschaft schweben wir übern Miesbodensee zur Viehbergalm. Ein Förster in seinem Jeep ist eine der wenigen wortlosen Begegnungen. Eine geräumte Straße zieht sich zu den Öfen nach Gröbming – darauf haben wir’s ein paar Kilometer leichter. Einen „Notausstieg“ unserer Tour hätten wir uns hier vermerkt. Die Beine sind aber gerne noch dabei, also weiter!
Statt Notausstieg wählen wir die „Notgasse“ – eine Abfahrtsvariante, die bei guter Schneelage vom Stoderzinken oder Hunerkogel unternommen wird. Erstmals ist auch von unserem heutigen Stützpunkt zu lesen: das Guttenberghaus! Ohne Zeitangabe… uns schwant Mühsames!
Der Ski tourender Jäger
Tatsächlich sind da ein paar abfahrende Spuren auszumachen. Im Sinne des Aufstiegs war es bald nur noch eine. Eine sehr seltsame. Zieht den Hang hinauf, bastelt sich ein Loch. Führt über kleine Hügel, schlägt einen Haken. Dann ein dumpfer Schuss. „Ja klar, des is a Jäger.“ Kurz vor der Schildenwangalm treffen wir auf den sportlichen Schützen auf Ski, der gerade eine Gams geschossen hat. Wir wechseln ein paar Worte – und während diese noch in meinem Kopf herumgeistern, legt sich die Dämmerung wie eine sanfte Decke über die Winterwelt. Keine Spuren mehr. Keine Geräusche mehr. Nur noch wir und der Winter. Und der Dachstein als großes Ziel.
Almwandern: Von der Schildenwangalm zur Grafenbergalm
Grafenbergalm
Die Grafenbergalm erreichen wir im perfekten Licht – ja, wenn es denn unser Tagesziel wäre. Déjà-Vu! Doch anstatt zu bleiben, stehen uns noch gut vier Stunden bis zum Guttenberghaus bevor. Wir schmelzen Schnee, erleichtern den Rucksack um den Speck und die letzten Lebkuchen, knipsen die Stirnlampe an und bemühen uns anhand unserer GPS-Tracks am Handy um eine effiziente Navigation. Von Winter- oder Wegmarkierungen ist hier kaum eine Spur – die meisten liegen unter’m Schnee verborgen.
Mehr Tier- als Menschenspuren.
Jeder Meter auf Skiern will gefunden, gespurt und gegangen werden. Auf der Südseite – mit Blick nach Schladming – oft auch getragen. Wieder wird es später Abend, als wir das Guttenberghaus erreichten. Beim Hüttenwirt hatten wir uns vorab erkundet. Es gäbe zwar einen Winterraum, aber den Schlüssel dafür extra in Ramsau am Dachstein zu holen, war keine Option für uns. Aber er gab uns auch den netten Hinweis auf den Notraum, in dem vier Decken und eine Holzbank seien. Nach 15 Stunden auf Tour ist selbst das Luxus genug.
Vier Decken, ein Schlafsack. Muss reichen.
Auf eine Sache ist Verlass: Das Wetter bleibt wie für Postkarten gemalt.
Not bad, dieses Not-Biwak
Die größte Not bei diesem Biwak ist, am nächsten Tag mit höllisch brennenden Füße wieder in die Skischuhe zu steigen. Irgendwie doch ein bisschen zäher als gehofft, das Ganze! Doch wie fast immer wirken die ersten Sonnenstrahlen wie Balsam auf die Seele (und die Sehnen).
Gut. Besser. Guttenberghaus.
Tag 3, Gipfeletappe
Zurück in der Feisterscharte nehmen wir Kurs Richtung Dachstein: Vorbei an so manch anderem kolossalen Stein (Eselstein – Landfriedstein – Koppenkarstein) ist’s mit der steinernen Stille langsam vorbei.
Von dort hinten kommen wir her!
Der Blick zurück erstaunt mich fast noch mehr als der anfängliche Blick nach vorne. Als wir am Warscheneck das erste Mal den Stoa erblickten. Mit dieser Strecke in den Beinen spüre ich eine neue Verbindung – mit der einen und anderen Träne in die Augen. Woooow!
Der Weiterweg dürfte nun keine Überraschungen mehr bringen (abgesehen davon, wo wie und wo wir vom Dachstein wieder runter kommen… aber das ist vorerst Nebensache) – und so ziehen wir über die präparierte Spur hinüber zum nordseitigen Randkluft-Anstieg.
Durchaus skurril, nach relativ einsamen Tagen zu unserem Showdown im Gewusel zu landen. Es ist Mittag und noch immer reger Betrieb am Dachstein. Als wir beim Skidepot unsere anhänglichen Rucksäcke ablegen, kommt ein neues Gefühl von Freiheit, ein breites Grinsen und Energie zurück.
Stapf & Smile
Begleitet von Leichtigkeit und Freudentränen spulen wir am Stahlseil und in der Steilflanke die finalen Meter zum Dachstein-Gipfel. Ziemlich genau drei Tage, nachdem wir von unserem Häuschen gestartet sind, dürfen wir auf jenem Berg stehen, der uns schon so bereichert hat an Erfahrungen.
Oh Happy Day: 30.12.2024
Am Weg zum Gipfel holen wir uns von anderen Skitourengehern noch frische Infos ein und entscheiden uns, durchs Edelgrieskar abzufahren. Hier wäre der Schnee bis zur Bushaltestelle gesichert und auch das Wieder-Heimkommen mit öffentlichen Verkehrsmitteln könnte einfacher laufen als von den Salzkammergut-Ortschaften.
Nach ein paar lässigen Pulverschwüngen folgt ein (vor!)letzter Gegenanstieg zum Rosmarinstollen und eine – diesmal sogar mit Fixseil gesicherte – Einfahrt ins noch nicht ganz so edle Edelgrieskar. War schon mal genussvoller hier, aber sie bringt uns effizient zum nächsten Bus, den wir just in time erreichten bei der Station Türlwandhütte.
Mit dem Zug von Schladming nach Liezen, mit dem Bus übern Pyhrn zurück nach Edlbach – und ein letzter Fußmarsch mit einer kurzen Bergetappe zurück zu unserem Häuschen. Die 6.000 Höhenmeter dürften wir somit voll haben und den 100er an Wegstrecke auch. Was uns aber viel mehr freut: Das Fußbad und eine heiße Dusche, die nicht – wie die letzten fünf Jahre im Bus – auf einen 10-Liter-Warmwasserboiler begrenzt ist. Der wahre Luxus im Leben!
A-Team!
Kleiner Nachtrag: Unsere Bikes haben wir am nächsten Tag vom Gleinkersee geholt. Sie haben sich schon sehr aufs Heimkommen gefreut 🙂
Silvester-Stehfrisur!