Der Pizzo Badile – ein Traum von Berg: Die berühmt-berüchtigte „Cassin“ in der Nordostwand wurde ihrem sehr guten Ruf gerecht. Nicht ganz so gut daran: Diesem Ruf folgten sehr viele Seilschaften. Und das, obwohl der folgenschwere Bergsturz am benachbarten Cengalo im Zustieg große Spuren hinterlassen hat.

Endlich klappt es mit einem Abstecher ins Bergell. An der Grenze zwischen Italien und der Schweiz, ungefähr dort, wo sich die Pässe Maloja und Splügen bergwärts schlängeln, ragen imposante Granitwände himmelhoch auf. Das Bondasca-Tal ist spätestens seit dem folgenschweren Felssturz am Pizzo Cengalo nicht mehr nur Kletterkreisen bekannt. Eine halbe Million Kubikmeter Gestein war vom 3370m hohen Massiv gestürzt – und begrub leider auch Menschen, Autos, Häuser und Brücken unter sich.

Der verdreifachte Zustieg

Zwei Jahre nach dieser Tragödie ist der Weg zur Sass Furà Hütte – dem Stützpunkt für den Pizzo Badile – bereits wieder neu angelegt. Der Haken: Er hat sich ungefähr verdreifacht. Fünf bis sechs Stunden sind die offizielle Zeitangabe. 1400 Höhenmeter aufwärts und 300 Höhenmeter wieder abwärts (die man im Gegenzug natürlich wieder aufsteigen muss). Das macht die Beine müde und den Kopf mürbe, weil man die Hütte schon längst sieht – und sie wird zwischendurch immer kleiner.

Genuss-Biwak

Dabei ist die Hütte gar nicht unser Ziel für heute. Wir steigen ein bisschen höher hinaus, haben eine Isomatte und den Schlafsack dabei und breiten sie auf einer warmen Granitfläche aus. Dass Kletterer im Zustieg biwakieren, das wird hier offensichtlich toleriert. Wir sind bei weitem nicht die einzigen mit diesem Plan… Alle anderen betten sich allerdings etwas näher am Wandfuß. Wir genießen es: Selten haben wir so ein lauschiges Biwakplätzchen bezogen. So ganz ohne Schnee und Eis und Zelt und dicker Jacke… Genuss pur! Um vier Uhr gibt’s auf der Hütte Frühstück, also eine gute Zeit, um mit unserem Brot fertig zu sein.

Uns geht ein Licht auf

Schon bald nimmt das alpine Flair zu und wir schrecken andere Biwakgenossen auf. Den Zustieg finden wir auch ohne Auschecken am Vorabend ganz gut – Andi hatte noch ein paar zehn Jahre alte Erinnerungsfetzen an die Badile-Nordkante. In einer Scharte geht’s in Richtung Nordostseite: Abklettern, einmal Abseilen, in die Wand queren. In aller Finsternis ist’s nicht ganz so einfach, sich zu orientieren: Hier schon einen Riss schnappen?

Unsere erste Überlegung ist viel zu früh – und schon sehen wir zwei Lichtpünktchen um die Ecke huschen. Und wieder zwei… Wir folgen unserem Instinkt und queren noch weiter in die Wand – goldrichtig! Die Beschreibung von Marcel Dettling ist der beste Anhaltspunkt. Das Topo aus dem „Nichts als Granit“-Führer ist eher… nichts.

Drei auf einen Schlag

Der Rebuffat-Riss macht zum Aufwärmen gleich richtig Spaß. Andi macht vor dem folgenden Quergang in einem Riss an zwei Friends Stand – und der nachfolgende Vorsteiger klettert an uns vorbei. Die nächsten fünf Seillängen klettern wir parallel… Und dann kommen noch die drei Briten im 5C-Quergang daher – ich mag mir gar nicht ausmalen, wenn da nur einer stürzt… Parallel-Klettern und Seil-Übersteigen ist irgendwie sinnbefreit und stresserzeugend – und doch ist man auf einmal mittendrin. Vor der Schlüsselstelle kommen wir wieder alle zusammen – die Briten, die nur ungefähr alle 15 Meter eine Zwischensicherung anbringen, in der Pole-Position.

Stress raus, Genuss rein

Immerhin sind die nachfolgenden drei – oder gar vier? – Seilschaft schon außer Sicht. Und immerhin haben wir jetzt eine Reihenfolge – wenngleich die heißt: Wir sind wohl die Nummer drei. Vor uns reiht sich das deutsch-österreichische Duo ein. Ich pack’ dann mal die Haribo aus…

Stress raus, Genuss rein. Die beiden sind nicht so langsam, als dass wir sie überholen könnten (auch sie hängen die einfacheren Längen zusammen und bauen Tiblocs ein). Aber auch nicht so schnell, als dass wir nicht immer wieder minutenlang warten müssten. Egal, wir haben noch Haribos.

Es fühlt sich jedoch irgendwie schräg an, wie eine Seilschaft voraus der Tour die Ernsthaftigkeit nimmt. Und jetzt scheint uns sogar noch die Sonne auf den Helm.

Auf zum Gipfel

Die Kletterei ist meist sehr schön und wird auch nie wirklich schwierig. Am knackigsten fällt uns die nasskalte Rissverschneidung. Schaut cool aus, ist nicht ganz so cool – aber immerhin wissen wir, dass man sie nach 20 Meter rausqueren sollte, um nicht in den Verhauer-Schlingen zu landen.

Die längste Wartepause haben wir aber erst vor dem Boahhhhh-eyyyy-Finale. Ein breiter Kamin ragt da scheinbar endlos vor uns auf. Er beginnt mit einem schmalen Riss und erweitert sich zu einer Verschneidung. Sie lässt sich super schön, aber super anstrengend ausspreizen. Der deutsche Vorsteiger geht eine Etage tiefer und versucht es mit Kaminklettern, also eher -schrubben. Keine so gute Idee.

Die letzten Seillängen sputet Andi voraus und hängt sie zusammen – und weil es überraschenderweise erst 12 Uhr Mittag ist, geben wir uns auch noch die Nordkante bis zum Gipfel. Genüsslich beißen wir in unser Jausenbrot und lassen den Blick über die Wolken und Granitgipfel schweifen.

Geben wir uns die Kante!

Gegen 13 Uhr machen wir uns auf den Rückweg. Abklettern, was geht – und als die Kante steiler wird, fangen wir mit dem Abseilen an. Vier Seilschaften kommen über die Nordkante daher – und auch in der Cassin sehen wir noch regen Kletterbetrieb. Ohne gröbere Verhänger (nur kleinere) sind wir drei Stunden später zurück am Einstieg.

Hinunter zu unserem Biwakplatz – und zu einer schwierigen Entscheidung: Should we stay or should we go? Die Füße brennen bereits und flehen danach, einfach hier zu bleiben. Nur drei Tage zuvor hatten sie uns 3800 Höhenmeter auf den Mont Blanc getragen (aber zum Glück nur one way ☺).

Der Gedanke, morgen ganz einfach im Bus munter zu werden und kein Bein mehr bewegen zu müssen, ist aber noch reizvoller. Wir steigen den eeeewigen Hüttenweg (sagten wir schon ewig?) ab und auf und ab. Die größte Freude haben wir, als wir für den letzten Forststraßen-Hatscher zurück nach Bondo unsere Mountainbikes satteln können. Hinauftreten war zwar eine Plagerei – aber eine viel geringere, als jetzt noch einen Schritt vor den anderen setzen zu müssen. Vielleicht sollten wir uns das mit den E-Bikes noch genauer überlegen… 😉