„Der höchste Lohn für unsere Bemühungen ist nicht das, was wir dafür bekommen, sondern das, was wir dadurch werden.“
John Ruskin
Plötzlich steht es vor mir und Andi. Das Gipfelkreuz vom Täschhorn. Es ist der 48. Schweizer Viertausender, den ich mir von ganz oben ansehen darf. 48 gibt es insgesamt.
Ist das Gipfelgefühl diesmal anders als sonst? An diesem Augusttag 2016? Ein bisschen. Alles ist noch intensiver: die Freude und Demut, die Dankbarkeit und das Glücksgefühl. Tränen laufen über meine Wangen, sie spiegeln meine Gedanken, die wie ein Kurzfilm über die vergangenen Jahre ablaufen: Vor fünf Jahren stand ich auf meinem ersten Viertausender (Dom). Vor neun Jahren wusste ich noch nicht einmal, wie ich es auf den Hausberg schaffen soll, ohne mehrmals Verschnaufpausen einlegen zu müssen (Grünburger Hütte). Kondi und Klettern waren Fremdworte, Redaktionsalltag und Deadlines meine Hauptwörter. Der Schritt in die Berge – er war ein Schritt zu mir selbst. Durchaus spannend zu sehen, wie sich ein Weg entwickelt, wenn man ihn einfach geht. Ohne anfangs zu wissen, wohin er führt. Und trotzdem zu wissen, dass er richtig ist. Weil das Herz der Kompass ist. Nicht das Hirn, das manchmal dazwischenfunkt.
4000, warum?
Urlaubsabbau, was tun? Acht Wochen musste (durfte!) ich Workaholic aufbrauchen. Ich hatte viel Zeit, aber wenige Pläne – also ging ich (schnaufte ich) seit ewiger Zeit mal wieder auf meinen Hausberg. Und ein zweites Mal. Und drittes Mal… „Wos, wandern gehst? Ganz alleine?“, das hörte ich manchmal. Ja! Und ja! Ein Moment ergab den nächsten – die Berge wuchsen, und ich über mich hinaus. Ab jetzt spürte und wusste ich: Hier bin ich zuhause. Ich absolvierte Ausbildungen, um selber zu wissen, was zu tun ist. Ich fand Freunde und Wegbegleiter, die auch so gerne da draußen unterwegs sind. Schon beim ersten Westalpen-Kurzausflug, der mit meinem Kurskollegen Hermann in nur vier Tagen auf dem Dom und dem Mont Blanc gipfelte, war es um mich geschehen. Das ist meine Welt! Die Hörnlis und Gipfelis über der magischen 4000er-Marke übten mit der Zeit noch mehr Anziehungskraft auf mich aus. Auch, weil ich dieses Gefühl so liebte: Mit jedem Schritt (und da hinauf braucht es meist viele ;)) wird die Distanz zum Alltag und dem Ach-so-Wichtigen immer größer. So anstrengend und wohltuend zugleich. Noch heute zaubert jeder einzelne Schritt auf diesem Weg einen dickenfetten Grinser in mein Gesicht. Erinnerungen für’s Leben.
Glück hoch zwei
So glücklich schätz‘ ich mich, dass ich zwei Weggefährten habe, mit denen ich die meisten 4000er-Gipfelerlebnisse teilen durfte (und darf) – mit meinem Schweizer Bergfreund Christian und meiner besseren (Seil-)Hälfte Andi. Erst nach vielen Bergtouren wurde er vom Seilpartner zum Lebenspartner. Was am Berg so gut funktioniert, muss ja nicht zwangsläufig im Tal gut klappen 😉 Wir haben’s noch keine Sekunde bereut 🙂 Spätestens ab diesem Zeitpunkt wurde es zur Nebensache, ob der Gipfel Grand Combin oder Kleinerberg heißt. Eine „4“ voran steht oder nicht mal eine „1“. Eh wissen: Das Glück verdoppelt sich, wenn man es teilt. Wurscht wo. Und noch viel schöner, wenn man dieses Gefühl bis nach Hause nehmen darf.
Täschhorn, im dritten Anlauf
Zurück zum „48. Gipfel“, hinauf auf das Täschhorn, denn das ist besonders hoch zwei: Der „letzte“ Viertausender made in Suisse ist ein harter Brocken. Nicht der schwierigste, aber der langwierigste. Zum dritten Mal erwachen Andi und ich in der Mischabeljochhütte – nach 2014 und 2015. Und diesmal ist alles anders. Nichts schreckt uns ab, kein Schneesturm vor der Eisentür. Die Verhältnisse passen, das Bauchgefühl stimmt. Wenn alle guten Dinge drei sind, dann wird das heute supergut. Wo wir beim ersten Versuch am Grat beinahe die Orientierung verloren und über diesen Bruchhaufen schimpften, läuft’s diesmal mit einem Dauergrinser im Bombenfels dahin (geändert hat sich nichts, höchstens unsere Einstellung). Von Anfang (im Stirnlampenschein) bis zum Ende (bei der Busparty im Mondlicht). Auf den letzten Schritten zum Gipfel übermannen mich 4000 Gefühle. Tränen kullern über meine Wangen. Wenn ich mich im Kreis drehe, dann sehe ich sie alle. Von A wie Aletschhorn bis Z wie Zinalrothorn. Ein kleiner Traum, der sich hier oben erfüllt.