Die Sturm- und Drang-Periode an den Gasherbrums ist eröffnet: Wir kletterten am G2 in 27 Stunden vom Camp 3 bis auf 7400 Meter und zurück ins Basislager – Akklimatisation abgeschlossen! Den Gipfel möchten wir nächste Woche versuchen. Die Saison hier im Karakorum entwickelt sich zunehmend zum Thriller: Es gab Steinschläge, Spaltenstürze, eine Spitzenleistung – und für uns ein unerwünschtes Date mit einer Lawine.
Einfach steil
Endlich haben wir es auch gewagt und geschafft, einen Fuß (und ein Zelt) auf den G2 zu setzen. Das bleibt heuer einem kleinen exklusiven Kreis vorbehalten, ohne Fixseile ist vom vermeintlichen „einfachen Achttausender“ nichts mehr übrig. Die Bedingungen sind vom ersten Schritt weg fordernd und steil.
Die gut 2000 Höhenmeter vom ersten Hochlager weg könnten wir so beschreiben: Erst klettern wir das Whymper-Couloir (auf die Aiguille Verte), dann die Pallavicini-Rinne (auf den Großglockner), es folgt die Nordwand der Lenzspitze – und dann fehlen noch 600 Höhenmeter bis auf 8034 Meter, in denen die Steigeisen in Schnee, Eis und Fels an die 60 Grad kratzen. Nahezu jeder Schritt ist ein unglaublicher Kraftakt. Aber der Reihe nach:
Die Banane ins Lager 2
Der Weg ins Camp 2 folgt der „Banana Ridge“. Einem schön geschwungenen Firngrat, der zuletzt in eine Flanke ausweicht, in der Ausrutschen wie auf einer Bananenschale ein Leichtes wäre – daher wohl der Name :-). Mit den ersten Sonnenstrahlen werden Schnee und Eis superschnell weich. Wer nicht mitten in der Nacht vom Camp 1 startet, bekommt hier einen Bananensplit mit Schlag serviert, der zu lange in der Sonne gestanden ist – einfach ungenießbar. Wir mogeln uns die letzten extrem steilen Meter in der Morgensonne hinauf (nachdem wir um eine Stunde verschlafen haben) und schnaufen im C2 auf 6450 Meter erstmals durch. Unglaublich: Trotz dieser Höhe ist es in der Sonne nicht auszuhalten
Unser „Höhenrekord“ im Lager 3
Wieder in der Finsternis stellen wir uns den nächsten Steilstufen, die sich durch Seracs schummeln. Mit dem schweren Rucksack, in den Zelt, Schlafsack, Matten, Lawinenschaufel, Gaskocher und Essen gepackt sind, ein hammerhartes Stück Arbeit. Die Belohnung kommt im Camp 3 auf 6950 Metern – höher als wir jemals zuvor atmen durften (2015 auf der Ama Dablam, 6812 m). Wir schneiden den mitgebrachten Speck auf und lassen ihn auf der Zunge zergehen. Wohl ein gutes Zeichen, wenn uns der Appetit noch nicht vergangenen ist. 🙂
Tagwache um 22:30 Uhr
Die Luft wird sehr dünn hier oben, was zumindest Andi nicht daran hindern kann, gut zu schlafen. Der Alarm der Uhr wird bald klingeln: um 22:30. Ich bestaune einstweilen die wilden Zacken und mächtigen Gipfel des Karakorums, die in der Abendsonne Schicht für Schicht zum Vorschein kommen. Morgen (also heute) möchten wir extrem früh starten, um unsere Akklimatisation fortzusetzen. Oder wäre vielleicht sogar der Gipfel erreichbar…? Ein schöner Traum. Ich schließe für eineinhalb Stunden die Augen.
Zeltfriedhof im Lager 4
Der Weiterweg, die knapp 500 Höhenmeter bis ins C4, bleibt steil und anspruchsvoll. Auf ein Seil verzichten wir zum Vorteil der Schnelligkeit – ist doch nicht mehr schwierig ab hier… Puh, getäuscht! Um Mitternacht sind wir hellwach. Kleine Abstecher in delikate Felsen fordern von uns allerhöchste Konzentration. Die alten Fixseile geben mehr der Psyche Halt als den Händen. Wir sind kurz davor, umzudrehen (wie wird das erst im Abstieg?), bis sich der Weg wieder in steile Schneeflanken auflöst.
Es beginnt zu dämmern. Was machen die vielen Wolken am Himmel? Charly Gabl hätte uns schönes Wetter in Aussicht gestellt, aber es setzt sich wohl von allen guten Wettermodellen dieses eine miese durch, das er erwähnte. Meine Schritte werden schwerer und langsamer, Husten quält mich. Für mich wird es langsam aussichtslos. Im Camp 4 angelangt, einem schaurigen Zeltfriedhof vergangener Expeditionen, stelle ich die Sinnfrage. Ich kann mir nur schwer vorstellen, mit der bisherigen Akklimatisierung und meiner Husterei den Gipfel zu erreichen.
7400 Meter: Umkehr, um wiederzukommen
Außerdem: Wollen wir in Wolken auf einen der höchsten Punkte dieses Planeten? Wir möchten weit sehen, weiter als je zuvor in unserem Leben, das ist einer der Hauptgründe, warum wir hier hinauf möchten.
Auch Andi muss nicht lange überlegen: Wir drehen um! Auch wenn „nur“ 600 Höhenmeter fehlen bis zum Achttausender-Gipfel, und er zum Greifen nahe aussieht. Unser Zelt und Zeug lassen wir im Lager auf knapp 7000 Meter stehen.
Tiefer Abstieg, höchste Konzentration
Mit höchster Konzentration klettern wir hinab im tiefen Schnee und sind um 7 Uhr zurück im Lager 3. Wir beschließen, auch noch die weiteren 2000 Höhenmeter bis ins Basislager anzuhängen. Die steilen Passagen erfordern größte Vorsicht, stellenweise sichern wir und seilen uns ab. Wir glühen unter der Sonne, wenige Minuten später frieren wir im Schneesturm – darf das wahr sein? Es wird uns auch kein einziger Meter geschenkt.
Halt, hier ist ein Spalt!
Im Lager 1 gönnen wir uns eine Verschnaufpause. Es ist schon später Nachmittag, doch wir wollen durchziehen. Das Schönwetter hat dem Gletscher extrem zugesetzt, Spaltenstürze und weite Spaltensprünge stehen an der Tagesordnung. Daher möchten wir den Gletscher nur noch nachts betreten. Der Deutsche Felix Berg erreichte zwar den Gipfel des G2 (mehr dazu weiter unten), im Abstieg rasselte er allerdings mehr als zehn Meter tief in eine Spalte und verletzte sich leicht. Mut fassen heißt es, als wir zwei Meter tief und weit über eine eisige Lücke springen müssen, über die wir vor vier Wochen noch sorglos gingen. Werden diese Stellen bald unpassierbar sein?
Blind-Date mit einer Eislawine
Im Aufstieg hatte uns hier der Ausläufer einer mächtigen Eislawine vom G6 erwischt. Erst jetzt, im Schein unserer Stirnlampe, sehen wir die Dimension dieses Monsters: Über mehrere hundert Meter verteilt liegen Eisbrocken auf der Aufstiegsspur. Wir waren glücklicherweise bereits etwas oberhalb, sodass wir „nur“ die Druckwelle der Lawine zu spüren bekamen. Als sie über uns hinweg fegte, hofften wir nur, dass keine weißen Massen mitkommen. Nach zwei Minuten war der Spuk vorbei. Unsere Knie zitterten, wir waren ein Schneemann und eine Schneefrau. Definitiv: Noch näher möchten wir keine Bekanntschaft mit einer Lawine machen!
. Ein Strandurlaub ist harmlos dagegen! Um nicht wie zwei Hendl gegrillt zu werden, bauen wir uns mit der Zeltplane und den Stöcken ein Sonnensegel. Etappenziel zwei: war nicht ohne!
Im Basislager um drei Uhr früh
Zu allem Überdruss verirren wir uns beim Abstieg weit nach Mitternacht noch in der Dunkelheit des blanken Gletschers. Es ist drei Uhr früh, als wir nach 27 Stunden, in denen wir auf den Beinen sind, hundemüde und dehydriert unser Zelt im Basislager erreichen. Wir reißen unseren Koch aus dem Schlaf, damit er unsere leeren Wassertanks füllt. Der nächste Tag besteht einzig aus zweierlei: essen und schlafen…
Die Spitzenleistung
Einen beachtlichen Gipfelbesuch hat der G2 trotz aller Widrigkeiten erlebt: Der polnische Profi-Höhenbergsteiger Adam Bielicki kletterte mit dem Deutschen Felix Berg durch die Westwand – das hat Seltenheitswert. Ein ukrainisches Trio hätte sich zwar auch gerne auf dem höchsten Punkt gesehen, aber ihrem „Gipfelfoto“ fehlten ganz eindeutig beträchtliche Meter bis zum Achttausender, und einem kasachischen Profi fehlte nur ein Hunderter bis zum „Summit“. Der Normalweg ist damit noch unbestiegen in dieser Saison.
Somit ist nur noch ein französisches Trio, darunter zwei Bergführer, neben uns auf dem Weg, den G2 von oben zu sehen. Ein paar dutzend andere Bergsteiger sind schon abgereist und/oder haben den G2 gar nicht erst versucht. Andere sind zum G1 gewechselt. Was sich dort (und an den anderen Bergen hier im Karakorum) abspielt, ist auch nicht weniger abenteuerlich.
Unser Plan: Bitte Daumendrücken!
Nach unserem Marathon rasten wir ein paar Tage im Basislager. Wir hoffen, dass nicht zu viel Schnee fällt und warten auf ein Wetterfenster nächste Woche. Dann möchten wir den Gipfelversuch starten: erst ins C1, am nächsten Tag direkt ins C3, dann zum Ziel unserer Träume und wieder zurück. Bitte drückt die Daumen, unsere Spannung erreicht ihren Höhepunkt – und dann gehts hoffentlich völlig entspannt ans Postkarten-Schreiben. 🙂
Danke fürs Mitkommen und entschuldigt bitte, wenn wir Nachrichten unbeantwortet lassen: Wir sind seit eineinhalb Monaten ohne Internet – einzig diese Beiträge finden ihren Weg über unser lahmes Satellitentelefon in die virtuelle Welt.
Post aus Pakistan – ein letzter Aufruf
Wer uns unterstützen mag, den Berg an Expeditionskosten reduzieren, dem schicken wir gerne eine persönliche Karte aus dem Basecamp. Mit 10 Euro ist dein Postkasten dabei – mehr geht natürlich gerne ;-).
Bitte überweise uns deinen Grußkarten-Beitrag inklusive Namen und Adresse im Verwendungszweck auf unser Konto (IBAN: AT73 3438 0000 0243 3209) oder per Paypal auf www.paypal.me/andreaslattner.
Dankeschön!
Auch unseren Sponsoren möchten wir besonders danken:
Kreatives Juwel, Oberbank, Exped, Bergsport Vasold, Komperdell, Airdesign Gliders, Lowa, Colop, Headstart, AV Kirchdorf, Gebirgsradverein Windischgarsten, Maxim Ropes, outdoortrends.
Mehr über unser Abenteuer in Pakistan:
Super Leistung !
Bleibt cool, ihr packt das schon.