Tag 1: Die erste Entscheidung war schnell getroffen: Lass uns die Skier mitnehmen. Nach zweieinhalbstündigem Skitouren-Hatscher tief hinein ins hübsche Vallunga, zu deutsch Langental, trauen wir unseren Augen nicht. Das soll die „Perla Azzura“ (WI 4+) sein? So ganz sicher waren wir nicht, nachdem wir nur mit Internet-Informationen und ohne Eiskletter-Führer dastanden, weil wir im ganzen Grödnertal keinen auftreiben konnten (nicht in der Buchhandlung, nicht in Bergsportläden, nicht im Bergführerbüro). Aus dieser Perle blitzen nur wenige azurblaue Passagen hervor. Ich wär‘ motiviert wie eine Dampflok, doch Andi hat heute wenig Lust auf Schneepflügen. Er will Eis. Steiles Eis. Wir deponieren unsere Rucksäcke, verlängern unsere Skitour, bis es in diesem Langental nicht mehr weiter aufwärts geht und wir uns in der Forcella Ciampei auf den Ausblick freuen. Der dann doch nicht ganz so überwältigend ist, auf der anderen Seite purzelt der Blick in ein Skigebiet.
Wir fahren das steile Stück zurück, machen vor einem kleineren Eisvorhang Halt und klettern zumindest einmal unsere 60-Meter-Seile aus. Kurz und knackig! Und wir wissen: Wir brauchen einen besseren Plan… und dringend einen Kletterführer für die schönen langen Routen, die hier teilweise verborgen liegen. Beim Hinausfahren sticht uns linkerhand bereits ein feines Eisgebilde ins Auge – das wär doch was!
Tag 2: Doch erst: Schlechtwetterprogramm… Frau Holle dürfte Schüttelfrost haben, es schneit und schneit und schneit. Im Bergführerbüro hatte man eingangs zwar keinen Kletterführer für uns parat, aber einen guten Tipp. Und das Topo dazu hat uns der Herr Bergführer gleich mitgeschickt. Grazie mille! So fanden wir im „Busc de Bleja“ (WI 4+, manchmal liest man auch „Busc da Blej“) einen kleinen Canyon in St. Ulrich bei Gröden. Er führte uns über fünf Stufen zu einem feinen Finale mit einer kleinen Kerze.
Tag 3: 20 Zentimeter Neuschnee liegen heute früh alleine auf dem Dach unseres Campingbusses. Der Südtiroler Lawinenlagebericht mahnt zur Vorsicht. Wir bleiben mal optimistisch vorsichtig und touren wieder das lange Tal einwärts, bis uns der Hübsche von vorgestern mit blitzblauen Augen anblickt. So verführerisch! Der Eisfall heißt „Piovra“, wie wir herausfinden konnten, denn in der Bibliothek von St. Christina haben wir endlich unseren Kletterführer gefunden. Das Eisklettern nach Plan kann beginnen!
Zum Einstieg des Piovras führt eine mittelsteile breite Rinne. Ist die heute save…? Knietief wurschten wir uns auf Tourenski durch die Latschen, brechen teilweise hüfttief ein. Endlich heraus aus dieser Zone, wo die Äste mit unseren Skispitzen Fangen spielen, kommen wir gut vorwärts. Doch der Schneedeckenaufbau kommt uns trügerisch vor. Ein Blick ins Schneeprofil verheißt auch nichts Gutes. Dann ein Setzungsgeräusch. Alarm! Wir drehen sofort um. Etwas demotiviert rauschen wir zurück ins lange Tal. Einen Vorschlag hab ich noch: Suchen wir am Rückweg den Einstieg vom „I Droc“, zumindest sein Zustieg ist sicher. Es kann zwar sein, dass wir in dem Canyon erst recht Schneepflug spielen müssen, aber die Chancen auf steiles Eis zwischen den flachen Stufen ist gegeben. Und siehe da! Es ist mittags und wir haben eine heiße Spur. Für heute ist das zu spät. Also morgen nochmals ins Langental…
Tag 4: Heute ist unser Eistag! Der Handyalarm weckt uns früh unter dem Aufstelldach, nur ungern schlüpfen wir aus dem warmen Schlafsack. Minus 12 Grad hat’s draußen, unsere Wasserleitung ist längst vor Kälte erstarrt (nur das Bier bleibt im Kühlschrank bei leichten Plusgraden angenehm warm – so wie man es sich wünscht…). Mit aktivierter Standheizung gefriert uns aber immerhin nicht das Frühstück in der Schüssel.
Bald sind wir zurück am Fuße des Canyons, die Skischuhe wechseln mit Bergschuhen – und es ist wieder mühsam. Teilweise brechen wir hüfttief ein (also Andi, mir steht der Schnee bis zum Bauchnabel). Aber wir wollen zumindest bis zur Einstiegssäule. Über ein paar Mixedblöcke hinweg kommen wir zu einer ersten kleinen Stufe. Wir sind auf Eis gestoßen! Wir beginnen hier zu sichern – und sind zehn Minuten später sprachlos.
Wow… Endlich da! Endlich am Einstieg einer lässigen Eisklettertour! Endlich Sonne!
Die erste Säule (WI 5+) hat es gleich in sich. Vor allem, weil das Eis eine Mischung aus Blumenkohl und Röhren ist und von Hooks keine Spur. Das Eis lässt sich schlecht absichern, die Sonneneinstrahlung ab dem frühen Vormittag macht die Sache auch nicht besser. Doch Andi gewöhnt sich schnell an die Strukturen. Ich folge so flott es geht – und wir freuen uns, dass die Schlüsselseillänge gut gelaufen ist und wir in der Sonne Eisklettern dürfen. Welch Rarität!
Gut, dass wir die Arme nun ausschütteln dürfen – leichtere Stufen folgen, das Eis ist soft, manche Standplätze (an zwei oder drei Normalhaken) liegen sogar auf der Sonnenseite. Und das Panorama: das ist ziemlich sensationell!
Stufen um Stufen arbeiten wir uns höher, bis eine Tiroler Seilschaft auf uns schließt. Die vorletzte Säule teilen wir uns mit ihnen – sie ist zum Glück breit genug, dann ziehen sie an uns vorbei. Kein Wunder… Als ich in einer WI3-Länge drei Schrauben setze, brauchten sie keine einzige. 😉
Der letzte Aufschwung fordert nochmals unsere Kräfte. Hier kommt eine kurze Rast am Eisgerät wie gerufen… Aber hey: Ende Eis-Gelände! Den Ausstieg erleben wir in der Sonne – den Ausblick genießen wir am letzten Baum-Standplatz nicht lange. Dezembertage sind kurz.
Ein Foto und weg. Dreimal basteln wir Abalakovs, um uns abzuseilen, zweimal nehmen wir die Standplätze, wir wühlen uns abwärts, klettern ab. Mittlerweile leuchtet der Mond in diesen Canyon, als wir auf den letzten Metern vor unserem Rucksack- und Skidepot sind. Die kleine Notfall-Stirnlampe darf uns auch noch leuchten.
Andi treiben Durst und Kopfweh nach unten. Im Rucksack warten nur Eisklumpen zum Trinken, die Thermo-Isolierung half unserem Tee nicht über die Stunden hinweg. Mit den Skiern sind wir aber schnell zurück beim Bus. Bei einem Radler aus dem Kühlschrank wärmen wir uns auf und freuen uns, dass wir diesen Eistag besonders lange auskosten durften. Und das Beste: Unsere freien Tage sind erst im nächsten Jahr zu Ende. Insgeheim träumen wir in unserem Urlaubs-Finale schon wieder vom Gelato – an der ligurischen Küste. 🙂