Climb and Fly am Triglav: Manche Starts mit dem Gleitschirm sind ein Adrenalinschub in den Himmel. Wie jener auf dem Triglav – zumindest für Marlies. Andi musste die 1800 Höhenmeter zu Fuß absteigen. Über eine spannende Reise nach Slowenien.
Marlies steht am Gipfel des Triglavs zwischen zig anderen, die über den Normalweg kamen. Unsere UFOs liegen parat.
Ich stehe auf meinem Startplatz und schaue zu, wie die Wolken an mir vorbei fetzen. Fenster zu, Fenster auf – ob ich diese Wand durchdringen kann? Startplatz sei an dieser Stelle so genannt, weil ich dort oben eben starten möchte. Mit einem Startplatz, wie man ihn sich als Paragleiter wünscht, hat er nichts zu tun. Es ist der steinige Weg zehn Meter unter dem Gipfel des Triglavs, des wuchtigsten und höchsten Slowenen. Hier zu starten wäre die Krönung unserer Klettertour. Wir sind durch die megalange Nordwand gekommen, das hat uns gegen Ende schon Nerven gekostet. Aber das jetzt? Mein Herz klopft schneller als das Metronom bei „Played-A-Live“ von Safri Duo.
In Gedanken gehe ich alles ab, immer wieder. Der Wind passt perfekt, weht leicht aus Süden. Ich sollte nur meinen Schirm sauber über mich bringen. Ich müsste nur rechtzeitig die Kurve kratzen Richtung Norden. Ich dürfte nur keinen Fehler machen. Sonst könnte ich ja nur mein Leben verlieren… Oh Gott, die Gedanken in meinem Kopf sind stürmisch. Ich beruhige sie. Danach befestige ich den 16 Quadratmeter großen Flügel an meinem Gurtzeug. Andi und zwei andere hilfsbereite Bergsteiger halten mir den Schirm auf und heben die feinen Leinen über die großen Felsbrocken und kleine Steine hinweg. Ich warte auf den Moment, bis ich anlaufen kann und mich der Adrenalinschub zum Himmel befördert. Ich drücke meiner großen Liebe noch einen Kuss auf den Mund. Andi sagt: „Mach’s gut.“ Ich sage: „Bis gleich.“
Zwischen Alpen und Mittelmeer
Zurück zum Anfang dieser Reise. Slowenien liegt so nahe, war aber trotzdem so lange ein blinder Fleck auf unserer Landkarte. Dieses Land zwischen Alpen und Mittelmeer, das für Kletterer nicht ganz so reizvoll klingt wie die Dolomiten, Chamonix oder der Wilde Kaiser. Wir fanden es aber höchste Zeit, unseren Horizont in Richtung Süden zu erweitern – und nicht nur, wie früher in meiner Sportjournalisten-Zeit, zum Slalomfahrer-Interviewen nach Kranjska Gora zu düsen.
Eine Offenbarung steiler Wände in den Julischen Alpen
Eines Julitages begrüßen uns die Nachbarn mit einer sauberen, sattgrünen Landschaft, mit Nebelmystik und Sonnenschein (als es andernorts regnete), mit wilden Wänden und mit Preisen, bei denen sich der an die Schweiz gewöhnte Reisende ohne Geldsorgen eine dritte Pizza und ein achtes Achterl Wein ordern könnte. So ein schöner Flecken Erde!
Alpines Neuland für uns.
Der Fels der Julischen Alpen soll ja eher zur brüchigen Sorte gehören. Wir nehmen es ebenfalls locker am ersten Tag, klettern uns am Mangart ein.
Über eine Passstraße schlängeln wir uns hoch hinauf und stehen nach einer guten halben Stunde Zustieg vor unserer Tour, der Südwest-Kante des italienisch-slowenischen Grenzberges. An unserer Grenze müssen wir nicht gehen – im vierten Grad lässt sich dieser Grat hübsch ertasten.
Irgendwie sind wir von der Anreise geschlaucht, auch wenn sie nur drei Stunden dauerte von Oberösterreich. Andi legt sich neben dem Gipfelkreuz schlafen.
Zweisam am Gipfel.
Das Gipfelbuch verrät eine Überbevölkerung an anderen Tagen.
Gute Aussichten.
Hohe Handwerkskunst.
Nach dem Nachmittags-Schläfchen gehen wir über den Klettersteig zurück.
Tags darauf kratzt Andis Hals – der Triglav muss warten. Wir schlendern durch Kranjska Gora, chillen am See und machen einen Ausflug zum Vršičpass. An den kleinen Verkaufsständen sind die Schafe als beste Markenbotschafter für die Wollprodukte eingespannt.
Nur nicht meckern!
Nordwand des Triglavs
Wir parken uns im Vratatal nahe Mojstrana ein und fühlen uns am nächsten Tag bereit für eine Gewalttour. Wir wollen dem ranghöchsten Slowenen einen Besuch abstatten. Natürlich nicht Präsidenten Borut Pahor, sondern dem Triglav, zu deutsch: Dreikopf, zu slowenisch: Dort-muss-ich-einmal-oben-gestanden-sein. Der 2864 hohe Triglav gehört zum Slowenen wie die Taufe zum Christen. Einsamkeit hat Seltenheitswert. Das macht uns aber in diesem Fall nichts: Ein paar Menschen am Gipfel könnten uns sogar gute Dienste erweisen und für uns Starthelfer sein. Wir möchten hinunter fliegen mit unserem Gleitschirm. Und vorher durch die Nordwand klettern – und dies auf möglichst direktem Weg zum Gipfel.
Home sweet Motorhome. Mit der Dusche im Wald und dem ewigen Perfektionsversuch, was alles in den Rucksack muss und was hier bleiben darf.
Welch wilde Wand
Die Nordwand des Triglavs ist eine der längsten Wände der Ostalpen (der Schermberg und Watzmann lassen grüßen). Wir wählen die vielleicht längste Kletterroute, die zum Gipfel führt („Langer Deutscher Weg“) – 1400 Höhenmeter trennen uns dabei kletternd vom Wandfuß zum Gipfel. Der untere Teil („Kurzer Deutscher Weg“) ist nett, der obere Teil („Bayerischer Weg“) ist dann leider zum (Steine) schmeißen. Hier gibt’s wenige Stellen bis IV, großteils bewegt sich die Route im II. und III. Schwierigkeitsgrad. Doch der Reihe nach.
Hat die Tour einen Haken?
Auf geht’s! Der erste Teil läuft für uns überraschend locker dahin. Der Fels ist zum Acht geben, aber anregend – macht Spaß, locker flockig dahin zu cruisen. Das Seil lassen wir noch im Rucksack, weil wir in dieser Monstertour lieber schnell Meter machen wollen und uns recht sicher fühlen. Das sei natürlich nur sehr sicheren Kletterern empfohlen.
Die Schotterbäche ziehen wie eine Lebensader das Tal hinaus. Oben sind wir auf den Felsen konzentriert. Einige (historische) Schlaghaken weisen immer wieder den Weg. Bei manchen sind wir froh, dass wir sie nicht benützen müssen. 😉
Spiderwoman. Spinnt sich lieber kletternd aus.
Nach eineinhalb Stunden erreichen wir bereits das erste Wandbuch am Ende des kurzen deutschen Weges. Die führen aber genau Buch, die Slowenen!
Erster Teil: check!
Wir sind guter Dinge und gehen den Langen deutschen Weg weiter – das sei ausdrücklich nicht empfohlen. Der Fels wird nach oben immer brüchiger und die Orientierung schwieriger.
Es wird zwischendurch wieder steiler. Zumindest an den schweren Stellen (bis IV) ist der Fels meist kompakt.
Bääääähhh… Klettern in diesem Schottersch… macht keinen Spaß. Hier oben kommt auch das Seil zweimal zum Zug.
Ein brauchbares Topo haben wir für den oberen Teil der Tour nicht gefunden. Immer dem Gefühl nach. Was hätten’s früher getan… 😉
Ein wilder Ausblick.
Irgendwie will heute gar kein Ende rausschauen…
Bis sich der Blick zumindest einmal zum Normalweg freilegt: An der Gratkante stecken keine Stecknadelköpfe. Das sind ziemlich viele Leute, die sich den Klettersteig hocharbeiten.
„Man merkt nie, was schon getan wurde; man sieht immer nur das, was noch zu tun bleibt.“
Das sagte schon Marie Curie. Nach etwa 6,5 Stunden in der Wand sind wir endlich an unserem Ziel. Bevor es wirklich spannend wird…
Giiiiiiiipfel! Eeeeeendlich!!!!
Ein ganz normaler Gipfeltag am Triglav. Bis sich doch viele Blicke auf uns richten.
Heute bin ich richtig fertig. So müde, dass ich eine kleine Runde schlafe halb sitzend. An einen Abflug ist ohnehin noch nicht zu denken – der Gipfel steckt in Wolken. Aber siehe da… Eine Stunde später tun sich kleine Fenster auf. Machen wir uns fertig.
Oh yeah, baby… Mach dich fertig!
Zurück zum Start
Jetzt steh ich hier herzklopfend und warte. Bis der Wind perfekt ansteht und ich den Schritt wage. Den Schritt nach vorne, in die Luft. Gefühlt vergehen unendliche Minuten. So viel Hochspannung steckt wohl sonst nur in einer 110-kV-Leitung. Ich bin so weit. Drehe mich noch einmal um zu Andi. Er nickt. Ich nicke. Luftbussi. Ab geht’s!
Yeahhhhh! Zittere ich? Ich fliege. Mein Flügel flattert über mir. Meine Nerven dürfen sich wieder glätten. „Crazy girl“, sagt eine Dame zu Andi. Das höre ich nicht mehr, ich höre nur, wie ein paar dutzend Slowenen wild applaudieren. Ich fliege. Yeah! Ich fliege vom Triglav! Das Wolkenfenster ist groß genug, um mich dazwischen zu schieben. Ich blicke kurz zurück zu den Menschenmessen und zu Andi, der noch ein Foto von mir schießt, wie ich das Tal hinaus gleite.
Marlies on Air
Plötzlich stockt mir der Atem. Woooow… Ich verliere noch mehr Boden unter meinen Füßen. Ein intensiver Moment, in dem der Gipfelaufbau zur Nordwand abbricht und mehr als tausend Meter unter mir frei werden. Eine senkrechte Monsterwand, an dessen Fuß ein Rinnensystem verläuft. Das kommt mir vor wie Nervenstränge, durch die gerade Adrenalin schießt. Ich. Glaub. Ich. Spinn. Ist das cool! Ich gewinne Respektabstand, dreh‘ ein paar Kreise. Ich versuche unsere Route auszumachen, in der wir ein paar Stunden lang geklettert sind.
Unter mir die Nordwand.
Wo bleibt der Andi?
Erst ist alles Genuss pur. Ich gleite das Tal hinaus. Bis ich merke, dass der Wind stärker wird. Er schiebt mich sehr schnell hinaus. Immer wieder drehe ich mit meinem Schirm in Richtung Nordwand zurück – und bleibe stehen, weil mir der Gegenwind die Vorwärtsfahrt nimmt. Ich suche nach einem Pünktchen am Himmel, will sehen, ob es Andi schon hinaus geschafft hat. Leider nichts zu erspähen. Ich bleibe ruhig, mir ist klar, dass dies dauern wird. Bis er den Schirm formiert, die Leinen sortiert und die Starthelfer instruiert hat. Ich fliege und schaue. Fasziniert von der Umgebung, von dieser wilden Gegend; davon, dass mein Start so gut geglückt ist. Ich lasse mich das Tal hinaus treiben. Noch immer kein Pünktchen. Ich muss wieder mit 100 Prozent zurück zu mir.
Hochgefühl.
Der Puls steigt, das Safri-Duo-Stakatto ist wieder im Takt meines Herzklopfens. Auf zur Landung. Im Vratatal breitet sich leider keine schöne große Wiese aus, auf der man genüsslich landen könnte. Unser Parkplatz sollte es werden – allerdings ist Samstag, und um die Nachmittagszeit dürfte es hier ziemlich zugeparkt sein. Eine kleine Waldlichtung befindet sich direkt dahinter, das haben wir am Vortag ausgecheckt. Zwar mit Steinbrocken übersät, aber zumindest die Forststraße wäre eben.
Action im Talwind
Es wird ernst. Ich verliere immer mehr Höhe. Der Talwind bläst so stark, dass ich mich fast rückwärts hineintreiben lasse. Der Parkplatz muss es werden. Ich fliege lieber von der offenen Schotterbank und hinten an – die hohen Bäume machen die Sache kompliziert. Hinter ihnen befinde ich mich im Lee – und Fliegern muss man dieser Stelle nichts erklären: Dahinter kommt es zu Verwirbelungen – wie das fließende Wasser hinter einem Stein, wo es strudelförmig nach unten zieht und wieder nach oben spuckt. Je stärker der Wind, umso intensiver die Situation. Mit einem Gleitschirm will man nicht in dieses Fahrwasser gelangen. Hier bleibt es mir nicht ganz erspart. Ich erhebe mich ziemlich früh aus meinem Gurtzeug, sehr gespannt und konzentriert. Auf und nieder geht’s, ich versuche zu kontrollieren, was zu kontrollieren geht, fliege aber unweigerlich in Richtung Baum rechts von mir, steuere unabwendbar in Richtung Autodach, habe plötzlich sicheren Boden unter mir. Ich bin gut gelandet. War. Das. Wild.
Happy Landing.
Kein Andi in Sicht.
Ein paar Minuten stehe ich wie festgewurzelt auf dem Parkplatz, der Bus wenige Meter neben mir, aber ich schnaufe erst hier durch. Blicke zum Himmel, wo ich noch immer nicht den Andi seh. Ich weiß nicht, ob ich jetzt hoffen soll, dass er gut hinaus kommt – mit dem Talwind ist nicht zu spaßen. Mir ist heiß in meiner Daunenjacke an diesem Sommertag. Ehe ich mich ausziehe, greife ich zum Handy. Noch kein Lebenszeichen. Ich schick ihm eine Nachricht, woher der Wind weht – und vor allem wie stark. Und ob er denn nicht noch warten wolle und in den Süden starten könne, sollten sich die Wolken dort lichten – ich hole ihn dort drüben ab.
Ich gehe zum Bus, bastle eine Windfahne aus unserem Komperdell-Stock und einem Stück Klopapier und stehe hier und warte. Zum Glück sieht mich niemand – aber wär‘ mir an dieser Stelle auch egal. Mein Handy vibriert. Nachricht vom Andi: „Bist du gut gelandet? Wolken sind zugezogen. Ich warte noch. Kuss.“
Gedulds- und Nervenprobe
Die Geduldsprobe nimmt ihren Lauf. Für mich hier unten in Sorgen. Und für Andi dort oben in Spannung. Denn das Wolkenfenster bleibt dicht – und der Wind dreht in die andere Richtung.
Bäh!
Andi trifft eine Entscheidung. Eine gute Entscheidung. Leider nein… Der Himmel macht dicht, der Wind dreht auf West. Statt eines viertelstündigen Abgleiters folgt ein mindestens dreistündiger Abstieg. Mist. Er folgt dem Normalweg hinunter über den Klettersteig – und hofft auf einen Start beim Triglav-Haus. Der sollte dort auch ohne Helfer klappen. Wir bleiben in Kontakt – und wie dankbar bin ich in diesem Moment über dieses fortgeschrittene Technologie-Zeitalter: Wie groß wären die Sorgen erst früher ohne Handy gewesen?
Ich warte unten und hoffe für Andi, dass er nicht die ganzen 1800 Höhenmeter zu Fuß absteigen muss. Er startet den nächsten Versuch. Ich stehe wieder da mit meinem Klopapier-Stock und halte ihn in die Luft – wie der Stabführer einer Musikkapelle. Ich warte und blicke bang zum Himmel. Ewige Minuten vergehen. Andi hat oben zu kämpfen. Der Wind dreht sich wie die Zeiger einer Uhr. Dazu muss er noch eine Hubschrauber-Bergung abwarten. Ich bekomme eine Nachricht: „Wieder nichts.“ Ihn nervt dieses Spiel mit dem Wind mittlerweile, den Schirm auszupacken und wieder einpacken zu müssen.
Beim Triglav-Haus.
Der Kreis schließt sich
Für Andi geht’s weiter hinunter. Zwei Stunden sind schon vergangen seit meiner Landung. Wieder tut sich eine Lichtung auf, auf der er starten könnte, wieder spielt ihm der Wind einen Streich. Schon langsam fühlt er sich verarsch… Ich warte noch immer, wieder mit Windanzeiger bewaffnet. Bis die definitive Antwort kommt: „Ich geh hinunter.“ Nervenprobe beendet.
Ich gehe inzwischen duschen, packe Andis Mountainbike und gehe ihm den langen Talhatscher entgegen. Damit er zumindest das letzte Stück hinaus glühen kann.
Endlich wieder vereint geht’s nach einem kühlen Bier ab zur Pizza. In die Pizzeria Kot.
Schmeckt übrigens besser als der Name klingen mag – und eine Pizza kriegt man um 6 Euro und 50 Cent. Slowenien ist ein günstiges Reiseland. Notiz am Tellerrande: Die Pizzeria Kot dürft übersetzt so viel wie „Pizzeria um die Ecke“ heißen. Wir lassen sie uns schmecken, trinken Rotwein bis uns die Augen zufallen.
Am Heimweg legen wir noch einen Zwischenstopp auf der Gerlitzen ein. Jetzt kommt auch Andi zu seinem Flug – so ganz entspannt zur wohltuenden Abwechslung. Ein bisschen Nervenkitzel ist schon gut – aber das brauchen wir nicht immer 🙂
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Marlies Czerny und Andreas Lattner, hochzwei www.hochzwei.media