Wunderwahre Jahre
WORAUF KOMMT ES IM LEBEN AN? RUND UM DEN GOSAUKAMM HABEN WIR DIE ESSENZ UNSERES LEBENS GEFUNDEN.

Manchmal reichen zwei Tage, und die Welt sieht wieder anders aus. Schöner vor allem. Noch schöner als sie vorher schon war. Und das geht so unverschämt einfach. Wenn es uns an einen so wundervollen Flecken Erde zieht wie jener in Filzmoos ist. Man muss die Gegend wirken und die Gedanken sortieren lassen. Geht ganz von selber. Ohne viel Zutun. Und dann noch ein bisschen Klettern. Denn das hilft den Blick zu schärfen.

Landschaft. Leidenschaft.
FREUDE STATT FURCHT
Eigentlich wollten Bettina und ich schon seit sieben Jahren dem Königsjodler-Klettersteig einen Besuch abstatten. Doch irgendwie fanden wir Klettersteiggehen für unsere Abseilaktion aus dem Alltagsleben nicht mehr ganz so sexy. Wir wollten klettern gehen. Mädels-Vertikal-Ausflug. So ganz gemütlich aber. Mit Schwierigkeiten, die so hoch sind, dass es ein kleines bisschen spannend bleibt, und die so niedrig sind, dass wir den Blick noch für das Drumherum schärfen können. Und in keiner Sekunde die Furcht über die Freude siegt.
KLEINE TOUREN, GROSSE FREUDE
Da hab‘ ich das Richtige im Kopf für mein Fräulein Genuss (das schon seit einem Jahr nicht mehr klettern war und das auch mit kleinen Touren eine große Freude hat – und eine noch größere Freude sogar hat, wenn es dann auch noch größere Touren meistert): die Hochkesselkopf-Südwest-Verschneidung (Großteils IV mit einer Stelle V+). Der Spaß an einer Tour fängt ja schon vor dem ersten Schritt an. Mit der Planung, welche Route man sich denn überhaupt aussucht für sich und seine Wegbegleiter(in). Auf nach Filzmoos!

Weil’s oben einfach schöner ist.
HÖRT AUF ZU MECKERN!
Wir kriegen ungefähr den dritten Lachkrampf des Tages, als ich unser recht intensives Geschnatter abrupt unterbreche. Falsch lang, Mist! Den Linzer Steig sind wir ein Stück zu weit gefolgt . Also wieder Runterlaufen die letzten 100 Höhenmeter. Da sind ja wieder die Richtigen beinand‘. Retour auf der Almwiese des Rinderfelds meckern uns ein paar Schafe fröhlich an, so als ob sie unseren Abstecher jetzt besonders witzig gefunden hätten. Bis ich plötzlich die Panik bekomm‘ und mein Schritt immer schneller wird. Ihr Meckern ist ja gar nicht fröhlich! Die Wollknäuel laufen uns nach!
Irgendwie hab‘ ich immer etwas Schiss vor Viechern, die ein so großes Gebiss haben, dass sie locker meine Waden zerfleischen könnten. Die weißen und auch die schwarzen Schafe dürften uns ziemlich scharf finden. Sie werden auch immer schneller. Hinauf in die Felsen, weg von ihnen! Doch selbst diese Barriere nehmen sie unter ihre Beinchen. Shit, und jetzt stehen die kleinen Schafis auf dem großen Felsbrocken! Wenn jetzt das schwarze Schaf dem weißen einen Schubser gibt, liegt es verletzt unten! Und wir sind schuld! Ein schlechtes Gewissen bis in alle Ewigkeit!

Kommt her, meine Schaflein!
Irgendwann fasst Bettina den ganzen Mut ihres Menschenlebens zusammen und tritt als Hirtin in die Mitte. Meine Heldin des Tages! Ich kann mich also schon mal vom Acker machen…

Jetzt sind wir aber goldrichtig am Weg und freuen uns, dass wir nicht so früh dran sind. Ein bisschen kombiniert hab‘ ich ja doch: Südwestwand heißt Sonne kommt erst mittags um die Ecke. Es ist kurz nach elf Uhr, als wir losklettern, und in der zweiten Seillänge werden die Finger warm und die Sonnenbrille bleibt bis zum Aperolspritzer auf der Nase.

Eine Tour für Genussspechte.
ES SCHLÄGT 13
Ziemlich relaxed cruisen wir durch die 13 Seillängen der SW-Verschneidung (ein Topo ist auf bergsteigen.com zu finden). Und umso mehr können wir es genießen, als wir auf dem Gipfel anlangen, der sich ganz mächtig zwischen Dachstein-Massiv und den Gosaukamm stellt. Eine neue Perspektive, die sich hier öffnet über Salzburg, Oberösterreich und die Steiermark. Ein Paradies auf Erden!

Grenzgenialer Ausblick vom Hochkesselkopf. Der Bischof mützt, Gosau ist frisch gekämmt und die Seen betten sich am Fuße des Dachsteins. Und bis nachhause sehen wir auch fast.
Österreich. Steinreich.
Die Luft, die wir atmen, und durch die Vögel und Paragleiter segeln, ist (noch) rein.
Der Hintere Gosausee. Wasser, das wir trinken können.
Ich glaub‘, ich hab mich in zwei Tagen furchtbar oft wiederholt. Wir haben’s so wuuuhunderwunderschön bei uns in Österreich! Blaue Seen, grüne Wiesen, schroffe Felsen, bunte Blumen und so liebe Leute, die einem begegnen. Da wussten wir noch nicht, dass uns sogar noch Marcel Hirscher über den Weg klettern wird. Doch das war am nächsten Tag.

Spritz-Tour.
NEUER TAG, NEUES GLÜCK
Wir verlassen Filzmoos, düsen um die Ecke in die Ramsau, blicken in eine patschnasse Dachstein-Südwand und fahren wieder retour. Nix mit Steinerweg. Was tun? Wir sind planlos. Aber hey! Schauen wir doch zum Nachbarn hinüber, der heute so oft unseren Blick auf sich gezogen hat. Nochmal 4,50 Euro für die Mautstraße zahlen. Aber das ist es uns wert. Allemal.

Im Blick: die Bischofsmütze
Heute haben wir die Bischofsmütze ins Auge gefasst. Irgendwie ein kleines Sinnbild für das Leben: Haben wir ein Ziel vor Augen? Oder laufen wir orientierungslos umher? Eines ist offensichtlich: Wir werden das zu sehen bekommen, worauf wir unseren Fokus legen. Ist es das Schöne?

Hofpürglhütte. Mehr Schloss als Hof oder Hütte.
Kaffee! Wir riechen ihn schon! Anstatt ohne Zwischenstopp zur Mütze zu hopsen, kommt die Hofpürglhütte wie gerufen. Koffein als Muntermacher. Weil die Pkw-Auffahrt über die Mautstraße zur Aualm seit heuer nicht mehr möglich ist, starten wir wieder von der Oberhofalm. Dauert etwa halbe Stunde länger. Ist aber bestimmt nicht weniger schön.
KOMMANDO ZURÜCK
Wir studieren den Führer, ich schlag vor, den Jahn-Weg zu klettern. Bis ich mir vor der zweiten Seillänge denk‘: Nix da. Abseilen und Normalweg. Ohne mobile Sicherungsgeräte fühl‘ ich mich nicht wohl, in einen alpinen Klassiker einzusteigen (auch wenn es schon das zweite Mal für mich wäre). Aber auf die Bischofsmütze ist ja auch der Normalweg kein Kinderspaziergang. Und lohnend genug.
HALLO MARCEL!
Retour am Einstieg, da reibe ich meine Augen. Das ist ja der Ferdl! Der Vater von Marcel Hirscher! Zu meiner Sportjournalisten-Zeit im Ski-Weltcup durfte ich viele Gespräche mit ihm führen, zum Beispiel dieses Gipfelgespräch in den OÖNachrichten (http://www.nachrichten.at/sport/wintersport/ski-alpin/Hirscher-bdquo-Das-waren-wilde-Streitereien-ldquo;art73891,802604). Als wir zum Normalweg gehen, da taucht hinter dem Altschneefeld ein gelber Helm hervor. Tatsächlich. Der Marcel. Ein alter Bekannter (cool, wenn das eine 30-Jährige über einen 28-Jährigen sagen kann ;-)). Es ist eine schöne Erinnerung, dass ich ihn schon bei seinem ersten Weltcup-Sieg in Val d’Isère 2009 interviewen durfte. Hautnah miterleben, wie er vom Bua‘ der Stuhlalm zum Megastar gehypt wurde. Und dabei eines geblieben ist: ein sauguter Skifahrer – und noch wichtiger – ein ziemlich cooler Typ. Auch seine bessere Hälfte Laura ist dabei – aber Moment, der Rest ist Redaktionsgeheimnis. 😉

Marcel Hirscher.
Die Kletterei vergeht wie im Fluge – und dieses Gipfelerlebnis ist wieder eines der ganz besonderen Sorte. Was nicht nur damit zu tun hat, dass der Skigott da lässig neben uns am Gipfel chillt. (Wär übrigens ein Gipfelgespräch mit weniger Gipsfuß als jenes, dass ich 2011 mit ihm bei ihm zuhause führen durfte…) Aus Respekt vor der Privatsphäre gibt’s keine weiteren Bilder (nur in unserem Kopf ;-)).

Bischofsmütze.
TÜRE ZU, TÜRE AUF
Dieser Tag hält wieder einmal eine Weisheit parat: Wenn du bereit dazu bist, an der einen Stelle umzudrehen, kommt woanders ein neues Abenteuer daher.

Hab ich’s schon gesagt? Sooooo schöööön!
Worauf kommt es nun an im Leben? Auf die Wege, die wir wählen (und gehen). Die Menschen, die mit uns kommen. Die Blumen, die wir sehen. Die Herausforderungen, denen wir uns stellen. Die Spuren, die wir hinterlassen. Auf das Aufbrechen und auf das Heimkommen (zum Liebsten und zur Familie). Auf die Momente, in denen wir leben. Nicht in der Vergangenheit oder in der Zukunft, sondern im Jetzt. Nirgendwo gelingt mir das besser als beim Bergsteigen und Klettern. Und das ist ansteckend. Stimmt’s, Bettina? 😉

Einen Augenblick bitte…