„Man kann einen Menschen nichts lehren, man kann ihm nur helfen, es in sich selbst zu entdecken.“
Galileo Galilei
Der Nebel hängt tief über dem Almtal. Hoch oben wärmt die Sonne die Plattenfluchten des mächtigen Zwölferkogels, doch vom Almsee ist unser Ziel noch nicht zu sehen. Ein grauer Alltag sieht aber anders aus. Maria Plakolm öffnet den Kofferraum und hebt Steinbock-Baby Alexa aus dem Hundekäfig. Das Wildtier blickt neugierig zu seinen Wegbegleitern auf, bis zu unseren Knien reichen die kleinen Hörner. „Alexa freut sich auf die Felsen“, schickt ihre Mutter Maria voraus. Wanderer, die nebenan parken, flüstern: „Ah, das ist das Steinbock-Baby!“
Das Steinbock-Baby, man kennt es bereits: Nach der Geburt starb die Mutter von Alexa im Wildpark Grünau. Vier Monate später ist sie über dem Berg und geht mit ihrer Zieh-Mama am liebsten: wandern. Gemeinsam mit ihnen durften wir auf den Zwölferkogel wandern.
Mittlerweile ist die kleine Alexa eine große Berühmtheit. Sogar in viele Zeitungen und ins deutsche Fernsehen ZDF schaffte sie es mit ihrer Geschichte. Vor vier Monaten wusste Tierpfleger Alex Redtenbacher im Wildpark Grünau nicht einmal, ob das Neugeborene überleben wird. Die Mutter starb am Tag nach der Geburt, das 1,6 Kilo leichte Tier hatte einen Nabelbruch und erlitt eine schwere Augenverletzung.
Redtenbacher gab die Hoffnung nicht auf und das Wildtier in die Hände seiner Schwägerin Maria Plakolm. Eine mutige und goldrichtige Entscheidung. Die Pettenbacherin, die auch zwei Ziegen hält, kümmerte sich um Alexa wie um ein eigenes Baby. Sie gab ihr alle zwei Stunden ein Flascherl, behandelte sie in ihrem Massageinstitut mit Lymphdrainagen und viel Liebe. „Es grenzt an ein Wunder, dass sie davongekommen ist“, weiß die 46-Jährige mit dem ganz besonderen Einfühlungsvermögen.
Rückkehr in den Wildpark
Schrittweise wurde Alexa ins Gehege ihrer neun Artgenossen im Wildpark Grünau eingegliedert. „Es tut mir ein bisschen weh“, gesteht Plakolm, „aber es ist für Alexa das Beste, wenn sie unter ihresgleichen ist.“ Es sei nichts Außergewöhnliches, dass ein Tier von Hand aufgezogen werde, sagt Bernhard Lankmaier, der Geschäftsführer des Wildparks. Aber eine große Herausforderung. „Mit Maria hatten wir einen Goldgriff.“
All you can eat
Auf dem Steig schlüpft Alexa durch Latschen, hopst spielerisch von Stein zu Stein. Über eine Leiter hält sie ihre Zieh-Mutter beim Geschirr. Jausenpausen legt Alexa im Vorbeigehen ein, sie beißt von frischen Gräsern und Kräutern am Wegesrand. Da werden wir fast neidisch – ein All-You-Can-Eat-Buffet in freier Wildbahn. „Je höher wir kommen, umso mehr schmecken ihr die Gräser“, erzählt Maria Plakolm.
Nach drei Stunden erreichen wir den 2102 Meter hohen Gipfel des Zwölferkogels. Alexa legt sich in den Schatten beim Gipfelkreuz und blickt seelenruhig auf den 1500 Meter tiefer liegenden Almsee. So, als ob sie sich kein schöneres Leben wünschen könnte.
Die Berge bringen uns ja immer wieder zum Staunen, aber heute auf eine ganz besondere Art und Weise. Nur das gemeinsame Hinuntergehen mit dem Babybock wird nichts – die Alexa hat ja noch jüngere Knie und eine bessere Geländegängigkeit 😉 Am Gipfel legen wir unsere Gleitschirme aus und schweben voller Eindrücke zum Almsee hinunter.