„Frei ist der Mensch nur dann, wenn er auf das Geborgensein verzichtet und sich auf das Risiko einlässt.“
Eduard Graf von Keyserling
Viele können die erste Skitour der Saison gar nicht erwarten. Spannung, Vorfreude… Ich (Andi) kann mich bei der ersten Skitour sogar über Nervenkitzel freuen. Nach 20 Jahren am Snowboard bin ich umso gespannter auf die erste Skitour der Saison (und meine zweite überhaupt… nach dem Aletschhorn letztes Jahr). Daher darf es ruhig ein bisschen flacher losgehen und dafür anderwertig spannend sein. Als schneesicheren Startplatz wählen wir den Dachstein, als Destination die Torstein-Eisrinne.
Torstein-Eisrinne
Nein, natürlich nicht zum Runterfahren. Einfach, weil uns die schon lange vorschwebt. Ob die grad geht? Keine Ahnung. Unsere Pickel freuen sich schon wieder auf Eiskontakt.
Der Andrang bei der Südwandbahn hält sich trotz blauem Himmel in Grenzen. Schnell ist die Steinerscharte erreicht, über die wir zum Gosaugletscher wechseln. Wenig später stehen wir am Fuße des Torsteins. Wenig einladend sieht aber auch die Rinne aus – zumindest für Marlies und Eddi. Im Mittelteil ist sogar ein Felsriegel sichtbar. Krisensitzung. Eddis Augen mustern schon die ganze Zeit den Grat auf den Mitterspitz. Meine Augen mustern immer noch die Rinne. So entscheiden wir uns schließlich dazu, dass Marlies und Eddi den Mitterspitz versuchen und ich die Rinne.
Wie am Sandstrand
Bald beginnt es steiler zu werden und ich schnalle meine Ski bald ab. Das müsste ich sonst ja wieder runterfahren… viel zu gefährlich für mich 🙂 also mit den Steigeisen weiter. Zum Glück ist die Sonne schon wieder aus der Rinne raus. So bleibt es schön gefroren und ich komme gut voran. Der vermeintlich unmögliche Felsriegel kommt näher. Ganz links ist er sogar mit Eis überzogen. Zwar kurz senkrecht, aber sieht gut aus. Die Eisgeräte ein paar mal beherzt gesetzt und schon bin ich drüber. Weitere 50m klettere ich noch im Eis, dann wird der Schnee wieder tiefer und tiefer und tiefer… Kurz unterm Ausstieg wird’s nochmal steiler und ich komme mir vor, wie am Sandstrand: Überall kann man reinbuddeln. Nur nach oben komme ich so nicht.
Ich beschließe nichts zu riskieren und beginne die Rinne wieder abzuklettern. Hui, da sieht die Sache viel steiler aus, als beim Raufklettern. Langsam und konzentriert ist auch die Eisstufe kein Problem im Abstieg. Immer wieder schaue ich rüber zum Mitterspitz, wo ich Marlies und Eddi am Gipfel sehe. Irgendwie doch komisch die beiden da drüben und ich alleine in der schattigen Eisrinne. Eine halbe Stunde später treffen wir uns wieder und machen uns am Weg retour. Wir haben noch genügend Zeit und steigen über den Westgrat auf den Dachstein. Hier waren heute schon einige unterwegs, wie man der guten Spur entnehmen kann. Bei Nachmittagssonne und null Wind können wir die Tiefblicke in die Südwand genießen.
Über den Westgrat auf den Dachstein
Nachdem wir den Abstieg über den Randkluftsteig hinter uns gebracht haben, wird’s nun ernst – zumindest für mich. Skischuhe zumachen, durchatmen und los. Der erste Schwung ist zwar noch etwas wackelig, aber dann geht es immer besser. Zurück bei der Bergstation saugen wir noch die orangen Sonnenstrahlen auf. Heute leuchtet uns nicht der Bildschirm an, sondern die Dachstein Südwand.